Zwei der prominentesten ehemaligen Anführer der Hongkonger «Regenschirm-Proteste» von 2014 müssen 16 Monate ins Gefängnis. Mehrere weitere Anführer wurden zu Bewährungs- oder kürzeren Gefängnisstrafen verurteilt. Die Bewegung bekam ihren Namen von den Regenschirmen, die die Demonstranten damals gegen das Tränengas der Polizei einsetzten, als sie für freie Wahlen und mehr Unabhängigkeit für Hongkong auf die Strasse gingen. ARD-Korrespondent Steffen Wurzel schätzt den Gerichtsentscheid ein.
SRF News: Ist das Urteil mild oder war das so zu erwarten?
Steffen Wurzel: Dass vor allem die beiden prominentesten Aktivisten, die Uni-Dozenten Chan Kin-man und Benny Tai, ins Gefängnis gehen, war zu erwarten. Sieben Jahre Haft wären die Höchststrafe gewesen. Dass es jetzt «nur» 16 Monate sind, ist relativ überraschend. Viele Aktivisten, mit denen ich in den vergangenen Wochen gesprochen habe, hatten mit mehr gerechnet.
Das Urteil ist ein harter Schlag für die Hongkonger Demokratiebewegung.
Trotzdem ist es ein harter Schlag für die Hongkonger Demokratiebewegung. Sie sagt, entscheidend sei, dass Menschen für friedliche Demonstrationen ins Gefängnis gehen müssen. Das habe es vorher noch nie gegeben, insofern sei das ein echter Paradigmenwechsel.
Wissen Sie, warum die Strafen dennoch milder ausgefallen sind als ursprünglich erwartet?
Es gibt noch keine ausführliche Begründung des Richters. Der Schuldspruch selbst ist ja schon vor 14 Tagen gefällt worden. Der juristische Grund war unter anderem Anstiftung und Verschwörung zur Störung der öffentlichen Ordnung. Bei der Verkündung des Strafmasses heute war ganz interessant, dass der Richter sinngemäss sagte, die Angeklagten hätten sich nicht einmal dafür entschuldigt, dass sie im Sommer 2014 auf die Strasse gegangen sind. Dass die Aktivisten zu ihren Aktionen stehen, hat ihnen der Richter heute wohl noch einmal negativ ausgelegt.
Gibt es schon Reaktionen auf das Urteil?
Es gibt noch nicht viele Reaktionen, aber seit dem Morgen gibt es eine riesige spontane Demonstration mit der Signalfarbe Gelb und vielen Regenschirmen direkt vor dem Gerichtsgebäude. Hongkong ist zwar eine chinesische Stadt, anders als in Festlandchina gibt es hier aber nach wie vor Demonstrations-, Meinungs- und Pressefreiheit. Für den Nachmittag sind weitere Erklärungen des sogenannten prodemokratischen Lagers angekündigt und am Abend soll es eine Mahnwache geben.
Inwiefern ist dieses Strafmass eine Botschaft an die Leute, die vielleicht weitere Demonstrationen planen?
Das heutige Strafmass ist im Grunde nur die Spitze des Eisberges. Es folgt einem Trend. Die Autonomierechte der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong, die eigentlich in der Verfassung festgeschrieben sind, werden immer weiter ausgehöhlt, und es wird immer schwieriger, Unterschiede zu Festlandchina zu erkennen.
Die Luft in Hongkong wird dünner.
Diese Unterschiede gibt es zwar noch, aber die Luft wird dünner. Man kann ins Gefängnis gehen, wenn man für mehr Demokratie demonstriert – eine Sache, die eigentlich erlaubt ist. Es wird immer schwerer für politisch interessierte Menschen, einzuschätzen, was man sagen darf und was nicht. In Festlandchina ist es alltäglich, dass man sich selber zensiert. Das werden wir mit dem heutigen Tag ganz sicher auch häufiger in Hongkong erleben.
Bekommt die Führung in Peking immer mehr Einfluss auf Hongkong?
Das ist ganz deutlich, das geht schon seit fünf bis sechs Jahren so. Jetzt sagen sich auch viele Wirtschaftsleute, wenn wir uns immer mehr Festlandchina nähern, dann ist Hongkong künftig nicht mehr als eine ganz normale chinesische Stadt mit allen vielleicht wirtschaftlichen Vorteilen, aber freiheitlichen und politischen Nachteilen.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.