2005 verwehrte das US-Aussenministerium einem indischen Politiker die Einreise in die USA. Die Begründung: «schwere Verstösse gegen die Religionsfreiheit». Der Politiker habe 2002 als Regierungschef des indischen Bundesstaats Gujarat nicht genug gegen die Ausschreitungen zwischen Hindus und Musliminnen und Muslimen unternommen. Mehr als 1000 Menschen waren damals ums Leben gekommen, die meisten muslimischen Glaubens. Der Name des Politikers: Narendra Modi.
Seit 2014 ist Modi indischer Premierminister, und jüngst liess US-Präsident Joe Biden dem einst verschmähten Politiker den roten Teppich ausrollen.
«Die Beziehungen zwischen Indien und den USA, den grössten Demokratien der Welt, sollen stärker, enger und fester werden», sagte Biden anlässlich des Besuchs von Narendra Modi am 24. September 2021. «Die ganze Welt» könne davon profitieren.
Die ganze Welt? Nicht ganz. Denn die indisch-amerikanische Freundschaft richtet sich gegen einen gemeinsamen Feind: die Volksrepublik China. Zusammen mit Australien und Japan haben sich die USA und Indien zur sogenannten Quad-Allianz zusammengetan. Getreu der Losung von Bidens Aussenpolitik: gemeinsam mit anderen demokratischen Staaten gegen das undemokratische China.
Modi seinerseits rühmte die Quad-Gruppe als «Kraft für das Wohlergehen der Welt». Wohl ergeht es vor allem Modi selbst. Kaum einer profitiert mehr von der neuen geopolitischen Konstellation. «Das Interesse der Welt an einer Zusammenarbeit mit Indien hat zugenommen», hält er lakonisch fest.
Der Sohn eines Teestandbesitzers spielt plötzlich eine Hauptrolle auf der Weltbühne, nachdem er den Applaus bisher innenpolitisch gesucht hatte: mit einer Kombination aus Wirtschaftsliberalismus und Autoritarismus.
Modis Indien
Zwar bewertet die amerikanische Nichtregierungsorganisation Freedom House Indien nur noch als «teilweise frei», und das schwedische Forschungsinstitut V-Dem ortet eine «elektorale Autokratie». Doch weil es gegen China geht, wird Indien mehr denn je als «grösste Demokratie der Welt» umworben.
Schliesslich hegt China nicht mehr nur wirtschaftliche, sondern auch geopolitische Ambitionen und gerät dadurch immer mehr in Konflikt mit den USA, vor allem rund um den Indopazifik.
Und dort hat Narendra Modi einiges zu bieten. Er hat dafür gesorgt, dass Indien mittlerweile hinter den USA und China weltweit am meisten Geld fürs Militär ausgibt. Gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP) liegt Indien weltweit auf Platz fünf, gemessen am Wirtschaftswachstum gehört es zur Weltspitze. Modi hat den Arbeitsmarkt liberalisiert und die Bürokratie abgebaut. Erfolge, die er jetzt aussenpolitisch nutzen will.
Jahrzehntelang ging es Indien vor allem darum, auf der Weltbühne bloss niemanden zu vergraulen. Doch jetzt stellt sich Indien ohne Wenn und Aber auf die Seite der USA.
Hindu-Nationalismus statt Multikulti
Zu Hause fördert Modi den Hindu-Nationalismus, genauer: eine Ideologie namens Hindutva. Frei übersetzt: «Hindus zuerst!»
Schon als Schüler engagierte sich Modi im RSS, einer paramilitärischen Hindutva-Organisation. Der RSS will Indien von einer multikulturellen Republik in eine reine Hindu-Nation verwandeln. Er richtet sich damit gegen die Musliminnen und Muslime, aber auch gegen die Christinnen und Christen, die Indien neben den Hindus seit Jahrhunderten bevölkern.
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Es ist ein alter Konflikt, der in den vergangenen Jahren an Schärfe gewonnen hat. Nach der Unabhängigkeit von Grossbritannien zerfiel Britisch-Indien ins muslimisch geprägte Pakistan und ins säkular-multikulturelle Indien. Sehr zum Missfallen der Anhängerinnen und Anhängern von Hindutva.
Narendra Modi beteuert als Premierminister zwar immer wieder, dass in Indien Platz sei für alle Religionen. Doch seine Kritikerinnen und Kritiker werfen ihm vor, religiös motivierte Gewalttäterinnen und Gewalttäter gewähren zu lassen: 2002 als Regierungschef in Gujarat, aber auch im Februar 2020 anlässlich der Delhi-Unruhen, bei denen 53 Menschen ums Leben kamen.
Und Modis Parteifreunde pflegen eine eigene Art der «Cancel Culture»: Der Taj Mahal, Indiens berühmteste Touristenattraktion, wurde aus dem offiziellen Reiseführer des Bundesstaats Uttar Pradesh gestrichen. Schliesslich war er im 17. Jahrhundert von einem Muslim erbaut worden.
Nicht nur Andersgläubige, auch Andersdenkende haben unter Modi einen schweren Stand. Indische Oppositionspolitikerinnen wie Mohua Moitra und Nichtregierungsorganisationen werfen Modi vor, die grösste Demokratie der Welt Schritt für Schritt in eine Scheindemokratie zu verwandeln.
Zum Beispiel, indem regierungskritische Medien aus fadenscheinigen Gründen vor Gericht gezogen würden. Indem unliebsame Politikerinnen und Politiker im Gefängnis landeten. Oder indem immer wieder das Internet ausgeschaltet werde, um die Opposition zu behindern.
Doch Modi weist jede Kritik von sich, und die Kritik westlicher Regierungen an seiner Amtsführung ist weitgehend verstummt. Indien mag keine lupenreine Demokratie sein – aber demokratischer als China, der grosse Rivale des Westens, ist Indien allemal.
Modi gibt sich derweil gerne philosophisch. «Gehst du spielen, wirst du glänzen», lässt er verlauten, «gehst du nicht spielen, wirst du auch nicht glänzen.» Der Glanz auf der Weltbühne, das hat Modi begriffen, überstrahlt prachtvoll die dunklen Seiten seiner Regierungsführung.