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«Historische Übereinkunft» G7 planen Kohleausstieg: Nur ein Tropfen auf den heissen Stein?

Die G7, die Gruppe der grossen demokratischen Wirtschaftsmächte, spricht von einer «historischen Übereinkunft»: Bis 2035 soll in den sieben Ländern Schluss sein mit Kohle. Darauf haben sich die Ministerinnen und Minister für Klima, Energie und Umwelt der Staaten an ihrem Treffen in Turin geeinigt. Reto Knutti, Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich und Mitglied des Weltklimarats, erklärt, was von der Ankündigung zu halten ist – und ob sie wirklich etwas bewirken kann, um den fortschreitenden Klimawandel einzudämmen.

Reto Knutti

Klimaforscher

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Der Klimaforscher Reto Knutti ist Professor an der ETH Zürich. Ihn interessieren verschiedene Themen im Zusammenhang mit dem Klimawandel: wie die Bewertung von Klimamodellen, extreme Wetterereignisse und statistisches Lernen. Und er setzt sich aktiv für die Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft ein.

SRF News: Weltweit ist noch nie so viel Kohle verheizt worden wie im letzten Jahr. Ist der Kohleausstieg der G7 bis 2035 wirklich historisch?

Reto Knutti: In den letzten Jahren hat Kohle zwar einen kleinen Aufschwung erlebt. Aber generell ist sie auf dem Rückzug – denn ökonomisch macht ihr Abbau nicht mehr viel Sinn. Allerdings handelt es sich lediglich um eine Ankündigung der G7-Staaten. Es bleibt abzuwarten, wie das Ziel wirklich erreicht werden soll.

Diese Staaten gehören zu den G7

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Die G7 ist ein informelles Forum der Staats- und Regierungschefs der grossen demokratischen Wirtschaftsmächte. Dazu gehören Deutschland , Frankreich , Grossbritannien , Italien , Japan , Kanada und die USA. Ausserdem ist die EU bei den Treffen vertreten.

In Osten Deutschlands etwa ist der Widerstand gegen den Kohleausstieg sehr gross. Mit der blossen Ankündigung ist es also noch nicht getan.

Bei internationalen Zielsetzungen und Ankündigungen ist es oft so, dass sich alle zum Klimaschutz und zur Dekarbonisierung bekennen. Am Schluss will aber niemand Massnahmen ergreifen, um eben dieses Ziel zu erreichen. Dazu gehört übrigens auch die Schweiz.

Protest gegen G7-Treffen in Turin
Legende: Am Rande des Treffens der Vertreterinnen und Vertreter der G7-Staaten kam es am Montag zu Anti-G7-Protesten in Italiens viertgrösster Stadt Turin. Keystone /EPA/Ansa/TINO ROMANO

Mit den USA und Deutschland sind bei den G7 zwei Länder dabei, die viel Kohle fördern. Absoluter Spitzenreiter bei der Kohleförderung ist aber China. Wie gross wäre die Wirkung aufs Klima, wenn die G7-Staaten die Kohle in elf Jahren tatsächlich verbannen würden?

Das ist der kritische Punkt. Die G7 sind nur für etwa zwölf Prozent des Kohleverbrauchs verantwortlich, der Rest fällt primär auf Indien und China. Kohle macht zudem nur etwa ein Drittel der fossilen Energieträger aus, dazu kommen noch Gas und Öl. Innerhalb der G7 haben auch fast nur die USA und Japan einen signifikanten Kohleanteil. In den meisten anderen G7-Ländern war der Ausstieg eigentlich schon beschlossen.

Wenn wir die Klimaziele von Paris ernst nehmen wollen, gibt es nicht anderes als den kompletten Ausstieg aus den Fossilen.

Womit lässt sich Kohle ersetzen?

Derzeit wird sie durch Gas ersetzt, so zum Beispiel in den USA. Denn Gas ist günstiger und sauberer als Kohle. Dazu kommen die erneuerbaren Energien. Wenn wir die Klimaziele von Paris ernst nehmen wollen, gibt es nicht anderes als den kompletten Ausstieg aus den Fossilen: kein Gas, kein Öl und keine Kohle mehr – bis spätestens 2050. Das erfordert einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien: Solar, Wind, Geothermie und Wasser.

Ankündigungen sind das eine, entscheidend sind aber die Massnahmen.

Heute wird weltweit etwa ein Drittel des Stroms durch Kohle erzeugt. Diese ist extrem CO₂-intensiv und schmutzig. Sie hat grosse Konsequenzen für die Umwelt und die Gesundheit. Wegen Kohle gibt es sehr viele Asthma-Erkrankungen und Todesopfer. Sie muss also weg und der Strom muss primär aus Solar, Wind und Wasserkraft kommen.

Was ist abschliessend von der Ankündigung der G7 zu halten?

Es ist schön, dass die Staaten miteinander diskutieren. Aber es ist nur ein kleines Zeichen. Bei den letzten Klimaverhandlungen wollte man eigentlich einen kompletten Ausstieg aus den Fossilen beschliessen, wenn auch nicht bis 2035. Jetzt geht es nur um die Kohle – und das auch nur bei den G7. Und letztlich sind Ankündigungen das eine, entscheidend sind aber die Massnahmen. Hier ist jedes Land gefordert, diese auch umzusetzen. Daran hapert es derzeit in den meisten Fällen.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

Rendez-vous, 30.04.2024, 12:30 Uhr ; 

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