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Historischer Gefangenentausch Biden empfängt Gershkovich, Whelan und Kurmasheva auf US-Boden

  • Nach dem historischen Gefangenenaustausch zwischen Russland und mehreren westlichen Ländern ist eine Maschine mit freigelassenen US-Amerikanern in den USA gelandet.
  • Sie wurden von US-Präsident Biden sowie Vizepräsidentin Harris begrüsst.
  • Kurz zuvor waren auch die freigelassenen russischen Staatsbürger in Moskau angekommen. Russlands Präsident Putin hatte diese feierlich empfangen.
  • Der Kreml hat bestätigt, dass der «Tiergartenmörder» Wadim Krassikow ein Agent des russischen Geheimdienstes FSB ist.

«Es ist ein wunderbares Gefühl», sagte Biden vor Journalisten auf dem Militärflughafen Joint Base Andrews unweit der Hauptstadt Washington. Biden und Harris umarmten den wegen Spionage verurteilten «Wall Street Journal»-Korrespondenten Evan Gershkovich, den ehemaligen US-Soldaten Paul Whelan sowie die US-amerikanische Journalistin Alsu Kurmasheva nach dem Verlassen der Maschine.

«Das ist ein unglaublicher Tag», sagte Harris – das könne man an den Freudentränen der Familienangehörigen sehen. Der Gefangenenaustausch sei ein «ausserordentlicher Beweis dafür, wie wichtig es ist, einen Präsidenten zu haben, der die Macht der Diplomatie versteht».

Eine Frau und ein Mann umarmen sich, während ein älterer Mann in einem Anzug in der Nähe eines Flugzeugs steht.
Legende: «Wall Street Journal»-Korrespondent Evan Gershkovich umarmt seine Mutter nach der Ankunft. Keystone/MANUEL BALCE CENETA

Die Maschine aus Ankara erreichte den Militärflughafen Joint Base Andrews unweit der US-Hauptstadt Washington am späten Donnerstagabend (Ortszeit) nach mehr als neun Stunden Flug, wie US-Medien berichteten. 

Scholz: «Niemand hat sich diese Entscheidung einfach gemacht»

Zuvor hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz 13 Freigelassene in Deutschland empfangen. «Das war sehr bewegend», sagte er am Flughafen Köln / Bonn.

Mann hält Rede vor Flugzeug auf dem Rollfeld.
Legende: «Viele haben um ihre Gesundheit und auch um ihr Leben gefürchtet, das muss sehr klar gesagt werden und deshalb ist es auch wichtig, dass wir ihnen diesen Schutz jetzt hier ermöglicht haben», sagte Scholz am Flughafen Köln/Bonn. Keystone/CHRISTOPH REICHWEIN

Vor allem die Freilassung des «Tiergartenmörders» Wadim Krassikow sorgte für einen bitteren Beigeschmack. «Niemand hat sich diese Entscheidung einfach gemacht, einen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder nur nach wenigen Jahren der Haft abzuschieben», sagte Scholz.

Angehörige von Opfer enttäuscht

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Das vorzeitige Ende der Haft für den «Tiergartenmörder» Wadim Krassikow sorgt bei den Angehörigen des Opfers für Enttäuschung. «Das war eine niederschmetternde Nachricht für uns Angehörige», teilten diese über ihre Anwältin Inga Schulz der Deutschen Presse-Agentur in Berlin mit.

«Einerseits sind wir froh, dass jemandes Leben gerettet wurde. Gleichzeitig sind wir sehr enttäuscht darüber, dass es in der Welt anscheinend kein Gesetz gibt, selbst in Ländern, in denen das Gesetz als oberste Instanz gilt», teilten sie mit. 

Das Berliner Kammergericht hatte den heute 58-Jährigen 2021 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Laut Urteil hat der Russe am 23. August 2019 in der Parkanlage Kleiner Tiergarten in Berlin im Auftrag staatlicher russischer Stellen den Georgier tschetschenischer Abstammung heimtückisch erschossen. Dafür habe der frühere Oberst einer Spezialeinheit des russischen Geheimdienstes FSB eine Alias-Identität erhalten. Das Opfer hatte in Deutschland Schutz gesucht.

Der Mann hatte während des zweiten Tschetschenien-Krieges mehrere Jahre lang eine Miliz im Kampf gegen Russland angeführt. Nach Moskauer Darstellung war er für Dutzende Tote unter russischen Sicherheitskräften verantwortlich. Russische Behörden hatten ihn als tschetschenischen Terroristen eingestuft.

Nach dem Treffen mit den Freigelassenen bezeichnete Scholz den Austausch als richtige Entscheidung. «Und wenn man da irgendwelche Zweifel hatte, dann verliert man die nach dem Gespräch mit denjenigen, die jetzt in Freiheit sind.»

Putin umarmt Tiergartenmörder bei Empfang

Der russische Präsident Wladimir Putin empfing parallel die im Rahmen des Gefangenenaustauschs freigelassenen russischen Staatsbürger am späten Donnerstagabend feierlich auf dem Flughafen in Moskau.

Kreml bestätigt: Wadim Krassikow ist Agent Geheimdienstes FSB

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Der Kreml hat bestätigt, dass Wadim Krassikow ein Agent des russischen föderalen Sicherheitsdienstes FSB ist. Dies meldete die Nachrichtenagentur Interfax.

Putins Sprecher Dmitri Peskow sagte weiter, der Austausch von Gefangenen zwischen Moskau und westlichen Ländern und die Frage der Verhandlungen zur Beendigung des Krieges zwischen Russland und der Ukraine seien «völlig unterschiedliche» Themen, berichtet Interfax ebenfalls.

 

Der Erste, der aus dem Flugzeug stieg, war «Tiergartenmörder» Wadim Krassikow, den der Präsident zur Begrüssung umarmte.

Im Inneren des Flughafengebäudes sagte Putin: «Zunächst möchte ich Sie alle zu Ihrer Rückkehr ins Vaterland beglückwünschen.» Der russische Präsident versicherte den Rückkehrern, sie alle würden mit staatlichen Auszeichnungen geehrt werden. «Ich werde Sie wiedersehen und wir werden über Ihre Zukunft sprechen», so Putin.

Agenten-Familie aus Slowenien freigelassen

Im Rahmen des Gefangenenaustauschs wurden acht Personen nach Russland zurückgebracht. Darunter waren auch Wladislaw Kljuschin und Roman Selesnjow, die in den USA wegen Cyberkriminalität verurteilt worden waren.

Personengruppe mit Blumen und Kamerateam trifft sich in der Halle.
Legende: Präsident Wladimir Putin trifft freigelassene russische Staatsbürger am internationalen Flughafen Wnukowo in Moskau. Keystone/KIRILL ZYKOV/SPUTNIK/KREMLIN POO

Des Weiteren hiess Putin die Familie Dulzew samt ihrer beiden Kinder mit Blumensträussen willkommen. Die Dulzews waren von einem Gericht in Slowenien verurteilt worden, weil sie sich als Argentinier ausgegeben hatten, um den EU- und NATO-Mitgliedstaat auszuspionieren.

Das sind die Freigelassenen

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Das sind die bekanntesten Inhaftierten, die heute freigekommen sind:

«Tiergartenmörder» Wadim Krassikow :Mehr als ein Jahr sass Krassikow im Berliner Kammergericht auf der Anklagebank. Am 15. Dezember 2021 verurteilten die Richter den Russen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe – für den Mord an einem Georgier am 23. August 2019 in der Berliner Parkanlage Kleiner Tiergarten. Die Auftraggeber für den Mord sassen nach Überzeugung des Gerichts in Russland.

Evan Gershkovich:  Der 32 Jahre alte US-Reporter Evan Gershkovich wurde Mitte Juli in einem umstrittenen Prozess wegen angeblicher Spionage zu 16 Jahren strenger Lagerhaft verurteilt. Der Russland-Korrespondent des US-Magazins «Wall Street Journal» war im März 2023 auf einer Reportage-Reise in Jekaterinburg am Ural vom russischen Geheimdienst FSB festgenommen worden. Ihm wurde zur Last gelegt, er habe geheime Informationen über Russlands Rüstungskomplex für US-Stellen gesammelt. Das «Wall Street Journal» wies das zurück. Gershkovich sei mit einer offiziellen Akkreditierung seiner Arbeit nachgegangen.

Paul Whelan:  Der 54 Jahre alte ehemalige US-Soldat Paul Whelan wurde bereits im Juni 2020 von einem russischen Gericht wegen angeblicher Agententätigkeit zu 16 Jahren Straflager verurteilt. Davor hatte er rund anderthalb Jahre lang in Haft gesessen. Whelan, der mehrere Staatsbürgerschaften hat, soll nach Darstellung des FSB als Spion auf frischer Tat ertappt worden sein. Die US-Regierung forderte wiederholt die Freilassung Whelans, weil in dem Verfahren keine Beweise vorgelegt worden seien.

Rico K:  Der 30 Jahre alte Deutsche wurde Ende Juni in Belarus zum Tode verurteilt. Der Vorwurf: Söldnertum und Terrorismus, angeblich hatte sich Rico K., Rettungssanitäter aus Hildesheim, vom ukrainischen Geheimdienst SBU als Söldner anwerben lassen. Da Belarus als letztes Land in Europa die Todesstrafe vollstreckt, war die Sorge auch im Auswärtigen Amt gross. Lukaschenko hob das Todesurteil gegen den Mann am Donnerstag vergangener Woche nach einer Unterredung mit Ermittlern und dem Anwalt auf.

Wladimir Kara-Mursa:  Der 42-Jährige gehört zu den prominentesten Oppositionellen in Russland. Er war im April 2023 unter dem Vorwurf des Hochverrats zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Der beispiellose Richterspruch löste weltweit Entsetzen aus. Zuletzt waren die Sorgen um den seit langem gesundheitlich schwer angeschlagenen Politiker gross. Seinem Anwalt zufolge war Kara-Mursa im Juni für zunächst geplante sechs Monate in eine Zelle mit erschwerten Haftbedingungen verlegt worden.

Ilja Jaschin:  Der 41-jährige Politiker gehört zu den schärfsten Kritikern von Kremlchef Wladimir Putin. Jaschin blieb in Russland, als viele andere Kremlgegner schon ins Ausland geflüchtet waren. Weil er den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine anprangerte und vor allem die Soldaten seiner Heimat für das Massaker an Zivilisten in Butscha in der Nähe der ukrainischen Hauptstadt Kiew verantwortlich machte, wurde er im Dezember 2022 wegen Verunglimpfung der Armee zu achteinhalb Jahren Straflager verurteilt

Oleg Orlow:  Der 71-Jährige gehört zu den bekanntesten Menschenrechtlern und mutigsten Kämpfern für Gerechtigkeit in Russland. Auch der Mitgründer der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisation Memorial wurde wegen Kritik an Putins Krieg zu Lagerhaft verurteilt, und zwar zu zweieinhalb Jahren.

Alsu Kurmasheva:  Ein russisches Gericht verurteilte die US-amerikanische Journalistin Alsu Kurmasheva erst vor wenigen Tagen zu sechseinhalb Jahren Strafkolonie wegen angeblicher Falschmeldungen über die Armee. Anlass für das Urteil war ein von ihr im November 2022 veröffentlichtes Buch mit dem Titel «Nein zum Krieg. 40 Geschichten von Russen, die sich gegen die Invasion der Ukraine wehren», wie die russische Oppositionsplattform «meduza» mitteilte.

Freigelassen wurden auch weitere russische politische Gefangene, darunter die Künstlerin  Alexandra Skotschilenko  und die früheren Leiterinnen der Regionalstäbe des Kremlgegners Nawalny,  Lilija Tschanyschewa  aus Ufa und  Xenia Fadejewa  aus Tomsk. Auch der Nawalny-Mitarbeiter  Wadim Ostanin  kam in Freiheit. Alle sind Gegner des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und erhielten langjährige Strafen. Der Westen hatte die Urteile als Justizwillkür kritisiert und die Freilassung der Gefangenen gefordert. In Freiheit kam auch der 19 Jahre alte Deutsch-Russe  Kevin L. , der im Dezember 2023 wegen Landesverrats zu vier Jahren Haft verurteilt worden war.

In den russischen Straflagern sitzen auch nach dem Austausch weiter Dutzende politische Gefangene.

Bei dem grössten Gefangenenaustausch seit dem Kalten Krieg hatten am Donnerstag in Ankara nach türkischen Angaben insgesamt 26 Personen aus sieben Staaten die Seiten gewechselt.

Tagesschau, 01.08.2024, 19:30 Uhr ; 

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