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Hochwasser ohne Ende An der Katastrophe in Italien ist der Mensch mitschuldig

Die Flüsse haben gemäss Geologen zu wenig Platz und viel zu viel Boden wurde in den vergangenen Jahrzehnten versiegelt.

Maurizio Castellari ist Geologe in Imola, einer Stadt am Rande des italienischen Überschwemmungsgebietes. Er bezeichnet die aktuelle Wetterlage als «höchst aussergewöhnlich» – doch auch der Mensch habe zum Hochwasser beigetragen.

Bislang 14 Menschen umgekommen

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Feuerwehrmänner helfen beim Menschen evakuieren.
Legende: Reuters/Claudia Greco

In wenigen Tagen fiel in der italienischen Überschwemmungsregion so viel Regen, wie sonst in einem halben Jahr. Ganze Dörfer und Stadtquartiere stehen unter Wasser. Bislang ertranken 14 Menschen in den Fluten, über 10'000 Personen mussten ihre Häuser verlassen. An vielen Orten verendet das Vieh.

Man habe die Böden seit dem Zweiten Weltkrieg zu stark versiegelt, sagt Castellari von der Vereinigung der Geologen der Emilia Romagna. «Flussläufe wurden begradigt und betoniert, Bäche in Kanäle gezwängt. Ein immer grösserer Teil der Landschaft nahe der Flüsse ist asphaltiert.»

Flussläufe wurden begradigt und betoniert, Bäche in Kanäle gezwängt.
Autor: Maurizio Castellari Geologe aus Imola, Emilia Romagna

Darum könne das Wasser kaum versickern und bahne sich den Weg mit verheerender Gewalt bergab.

Stark vom Klimawandel betroffen

Klar ist für Expertinnen und Experten – auch für Castellari –, dass der Klimawandel Italien jetzt hart trifft. Da leide das Land monatelang unter Dürre, und dann falle innert kürzester Zeit immer intensiverer Niederschlag, sagen sie.

«Früher führten gewisse Flüsse eine mehr oder weniger konstante Menge an Wasser. Heute kann ein Flussbett während Monaten fast komplett ausgetrocknet sein und dann kommen plötzlich Wassermassen, wie man sie selten oder nie gesehen hat», so der Geologe.

Unwetter folgt auf Unwetter

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Landschaft unter Wasser.
Legende: Reuters/Antonio Denti

Innerhalb von nur 15 Tagen wurde ein Teil der Emilia-Romagna, das Gebiet südöstlich von Bologna, von zwei schweren Unwettern getroffen. Schon vor zwei Wochen hatte es äusserst stark geregnet, deshalb waren die Böden jetzt noch immer durchnässt, die Flüsse voll. Auf diese wassergesättigte Erde fiel nun nochmals Regen mit bisher kaum gekannter Intensität.

Von den 22 Flüssen der Romagna brachen an deren 21 die Dämme. Das Land wurde unter Wasser gesetzt. Die Dammbrüche sind noch nicht repariert, deshalb fliesst das Wasser weiter aus. Und bis mindestens Sonntag soll es noch intensiv weiter regnen. Noch ist es zu früh, die Schäden gesamthaft abzuschätzen. Aber es kam zu mehreren hundert Erdrutschen. Strassen und Brücken wurden weggeschwemmt. Das Saatgut schon bestellter Äcker verfault. Drohnen fliegen über Ställe, in denen Schweine bis zum Hals im Wasser stehen.

Darauf müsse man reagieren. Als erste Massnahme nennt er den Bau von Rückhaltebecken. Die einbetonierten Flüsse müssen aus ihren starren Betten befreit werden und Raum erhalten, um sich bei Hochwasser ausdehnen zu können. Das müsse schon am Oberlauf in den Bergen passieren, so Castellari.

Laufende Kontrolle und Unterhalt nötig

Ausserdem sei es unerlässlich, dass man wieder damit beginnen müsse, die Flussdämme regelmässig zu kontrollieren, zu verstärken, auszubessern – und zu investieren. Eigentlich weiss man das. «Doch mit solch unspektakulären Investitionen können Politikerinnen und Politiker kaum Wahlen gewinnen», sagt der Geologe.

Die Politik müsse den Mut aufbringen, auf solch langfristige Projekte zu setzen, auch wenn von diesen erst spätere Generationen von Politikerinnen und Wählern profitierten. Denn eines zeige sich sehr deutlich: Der Klimawandel sei schneller als die Reaktion des Menschen.

Die Landschaft der Emilia-Romagna, aber auch anderer Regionen Italiens, sei nicht auf diesen Wandel vorbereitet. Der Geologe verweist auf die extremen Wetterereignisse in den Marken und in Kampanien, wo in den letzten Monaten ebenfalls riesiger Schaden entstand.

Nach dem Hochwasser die nächste Dürre?

Hinzu komme, dass mit dem vielen Regen die Gefahr einer sommerlichen Dürre in Italien keineswegs gebannt sei. «Weit gefehlt», sagt der Geologe: «Das viele Wasser fliesst innert weniger Tage ab.»

Italien hat viel zu wenig Speicherbecken. Zudem ist ein grosser Teil der Wasserleitungen leck, rund 40 Prozent des Trinkwassers versickert. Darum könnte es gut sein, dass das Gebiet, das nun unter Wasser steht, schon im Sommer wieder unter extremer Trockenheit leidet.

Echo der Zeit, 19.5.2023, 18:00 Uhr

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