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Hohe Inflation in Osteuropa Tschechien ächzt unter stark steigenden Preisen

Die Inflation erreicht mit mehr als 15 Prozent einen neuen Rekord – und die Menschen fürchten sich vor dem nächsten Winter.

Nora Fridrichovas Stimme kennen in Tschechien fast alle. Sie moderiert im Fernsehen jede Woche die Nachrichtensendung «168 Stunden». Und jetzt nimmt sie uns mit ihrer Handykamera mit in ihre «Garderobe» in Prag.

Hilfswerk für Alleinerziehende

«Satnik» heisst die Halle in Prags altem Markt, wo gerade ein Mann volle Plastiktüten ablädt. Täglich geben Menschen hier Kleider, Kosmetik, Essen ab. Täglich bieten hier Tschechinnen und Tschechen Nachhilfe an für Kinder oder Massagen für Mütter und Väter.

Nora Fridrichova.
Legende: Nora Fridrichova ist in ganz Tschechien bekannt – als Fernsehmoderatorin. Sie hat aber auch das Hilfswerk «Satnik» für Alleinerziehende gegründet. satnikpraha.cz

Fridrichova hat das Hilfswerk vor einem Jahr gegründet. In Tschechien gebe es viele wohlhabende Menschen, die Kleider spendeten. «Auf der anderen Seite gibt es aber Mütter, die sich keine Schuhe leisten können für ihre Kinder.» Das Hilfswerk «Satnik» ist da für Alleinerziehende. Es ist jetzt besonders gefragt, da in Tschechien schnell alles teurer wird.

Ungarn: Verschwendung ist mit ein Grund

Box aufklappen Box zuklappen

Dass die Inflation in den osteuropäischen EU-Ländern besonders hoch ist, hat vor allem mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu tun: «Blockierte Schwarzmeerhäfen, grosse Abhängigkeit von russischer Energie und von Lebensmitteln aus der Ukraine», sagt SRF-Korrespondent Roman Fillinger, seien die Gründe. Doch nicht der ganze Preisanstieg sei damit zu erklären. Und jener Teil sei jetzt zum politischen Streitpunkt geworden.

So mache etwa der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban die EU-Sanktionen für die hohe Inflation verantwortlich. Orban-Kritiker dagegen monierten, die Teuerung sei hausgemacht, weil die Regierung vor den Wahlen im April viel zu viel Geld ausgegeben habe. Diese Verschwendung widerspiegle sich jetzt in steigenden Preisen.

Sollten Öl und Gas im Winter knapp werden, so könnten die osteuropäischen Länder in eine Rezession rutschen, sagt Fillinger. Eine mögliche Folge: Die grosse Solidarität mit der Ukraine könnte langsam aber sicher bröckeln.

Fridrichovas Kamera fängt eine junge Frau ein, die einem kleinen Mädchen hinterherrennt. Es ist Marie Stulpova, sie zieht ihre beiden Töchter allein gross. Sie arbeitet für Satnik, aber ihr Lohn ist jeden Tag weniger wert. Oft sei der tatsächliche Preis an der Kasse höher als der, der auf dem Etikett stehe.

Auch die Miete steigt

Eigentlich unterstützt der tschechische Staat Ärmere grosszügig, aber Stulpovas Kinder sind gerade herausgewachsen aus dem Alter, in dem es Kleinkinder-Zuschüsse gibt.

Eigentlich haben die meisten Menschen in Tschechien ihre eigene Wohnung, aber Marie Stulpova kann sich das nicht leisten und wohnt zur Miete. Ihre Vermieterin habe ihr nun mitgeteilt, dass sie ihr die Miete werde erhöhen müssen.

Hilfswerksgründerin Fridrichova sagt, in diesen Zeiten der hohen Inflation sparten ärmere Menschen vor allem beim Essen. «Fleisch, Früchte und Gemüse kaufen die armen Familien nicht mehr, das ist alles sehr teuer geworden.» Die Kinder bekämen stattdessen billige, ungesunde Fertig-Nudelsuppen.

Immer mehr brauchen Hilfe

Etwa 400 Menschen stellen sich bei «Satnik» an. Es sind derzeit jeden Tag einige mehr. Sie holen Kleider, helfen beim Sortieren und nehmen dafür Essen mit nach Hause. Doch, so sagt Fridrichova, langsam werde es schwierig, Spender zu finden. Alle sparten, wo es nur gehe.

Frauen inmitten von Spenden.
Legende: Wer bei «Satnik» mithilft, darf sich mit Kleidern für seine Kinder versorgen. satnikpraha.cz

«So etwas hat es in Tschechien noch nie gegeben. Die Suppenküchen für Arme haben inzwischen kein Essen mehr, weil so viele Leute dort Schlange stehen», so Fridrichova.

Der Alleinerziehenden Marie Stulpova macht allerdings das Morgen noch mehr Sorgen als das Heute: «Dieser Winter wird schlimm. Heizen wird so teuer. Und wir müssen ja auch noch wohnen und essen.»

Echo der Zeit, 22.07.2022, 18:00 Uhr

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