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«House of Dynamite» Ein nuklearer Angriff auf die USA: Das Szenario auf dem Prüfstand

Hollywood-Fiktion trifft auf reale militärische Abläufe – doch der Film hat auch Schwächen, sagt der Sicherheitsexperte.

Darum gehts: 19 Minuten: So viel bleibt dem US-Präsidenten und seinem Team im neuen Netflix-Thriller «House of Dynamite», um auf den Einschlag einer möglicherweise mit Atomköpfen bestückten Interkontinentalrakete zu reagieren. Aus mehreren Perspektiven ist zu sehen, wie im Weissen Haus und im Pentagon Hektik ausbricht wegen des nahenden Einschlags.

Vorsicht, Spoiler!

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«House of Dynamite» lief ab dem 9. Oktober für eine limitierte Zeit in ausgewählten Kinos hierzulande. Seit vergangenem Freitag ist der 140-minütige Spielfilm im Netflix-Katalog abrufbar. In diesem Artikel werden Teile des Films besprochen. Wer nicht wissen will, was darin passiert, sollte ab hier nicht weiterlesen.

Fataler Lapsus: Im Film wird die Rakete erst entdeckt, als sie bereits über den Pazifik fliegt. Ein mögliches, aber eher unwahrscheinliches Szenario, wie Ivan Zaccagnini, Sicherheitsexperte am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich, erklärt. «Die erste Phase eines Raketenstarts ist tatsächlich schwer zu erkennen.» Aus diesem Grund setzen die USA auf ein mehrschichtiges Frühwarnsystem, das sowohl infrarot- und radarbasierte Satelliten als auch bodengestützte Sensoren umfasst. «Diese Systeme machen es einem Angreifer schwer, einer Entdeckung zu entgehen», so Zaccagnini. Elektronische Gegenmassnahmen wären in der rund vierminütigen Boost-Phase zwar theoretisch möglich, dürften aber kaum wirksam sein.

Ivan Zaccagnini

Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich

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Der Italiener forscht im im Bereich Technologie und Geopolitik am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich. Zurzeit absolviert er ein Doktorandenprogramm der LUISS Guido Carli Universität in Rom und des Centre for Security, Diplomacy and Strategy (CSDS) der Brussels School of Governance (BSoG) an der Vrije Universiteit Brussel (VUB) in Brüssel. Sein Forschungsschwerpunkt liegt unter anderem auf neuen Technologien, der Kriegsführung der Zukunft und dem Wettbewerb der Grossmächte.

Die Raketenabwehr: Die beste Chance, um eine Interkontinentalrakete abzufangen, sei in ihrer Beschleunigungsphase, erklärt der Sicherheitsexperte. Danach werde es aufgrund der extrem hohen Geschwindigkeit der Flugkörper zunehmend schwieriger, sie abzuschiessen. Zwar verfügen die USA über sogenannte Ground-Based Interceptors (GBIs), die Raketen in der sogenannten Midcourse Phase – also während des Flugs im All – abfangen sollen. Doch die Erfolgsaussichten gelten als begrenzt. Auch im Film zeigt sich das: Eine erste Rakete zündet gar nicht, eine zweite verfehlt ihr Ziel.

Frau in Büro voller Monitore telefoniert.
Legende: Kommunikation unter grösstmöglichem Druck: Nicht nur die nahende Rakete sorgt für Chaos: Auch ganz alltägliche Probleme wie schlechte Telefonverbindungen oder krankheitsbedingte Abwesenheiten machen die Entscheidungsfindung im Film so realistisch. (im Bild: Schauspielerin Rebecca Ferguson spielt eine Sicherheitsverantwortliche im Weissen Haus.) IMAGO / Landmark Media

Der Einschlag und seine Folgen: Im Film ist das Ziel die Millionenstadt Chicago – mit einer angenommenen Opferzahl von zehn Millionen Menschen. Wie viele Menschen bei einem Angriff mit einer Atombombe tatsächlich ums Leben kämen, hinge jedoch von zahlreichen Faktoren ab: etwa von der Höhe der Detonation und der Ausbreitung der radioaktiven Strahlung. SRF hat in einem fiktiven Szenario berechnet, welche Schäden ein Atomschlag in Schweizer Städten anrichten könnte.

Globale Eskalation: Im weiteren Verlauf des Films mobilisieren auch andere Staaten ihre Streitkräfte, um auf eine Schwächung der USA zu reagieren. Der US-Präsident steht vor einer folgenschweren Entscheidung, mit welcher Härte er zurückschlagen will. Laut Zaccagnini eine realistische Darstellung dessen, was nach einem atomaren Angriff geschehe. «Die US-Strategie sieht die Fähigkeit, mit vernichtender Härte zurückzuschlagen, voraus.» An diesem Punkt übt Zaccagnini aber auch deutliche Kritik am Film.

Die tatsächliche Bedrohung: «Der Abschuss einer einzelnen, nicht identifizierten Rakete auf die USA ist eher unrealistisch», so Zaccagnini. «Wenn man – nach Clausewitz – Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln versteht, erscheint ein solcher Angriff durch einen Staat ohne ein klar formuliertes politisches oder militärisches Ziel als ausgesprochen unlogisch.» Auch im Film bleibt offen, wer die Rakete abgefeuert hat. Und trotz der aktuellen geopolitischen Spannungen sieht der Sicherheitsexperte auch in der Realität keinen konkreten Angriff am Horizont. Die Gefahr einer totalen nuklearen Zerstörung halte die Atommächte davon ab, einen Erstschlag zu wagen. «Dieses System ist zwar paradox, aber nach wie vor notwendig.»

SRF 4 News, 27.10.2025, 6:08 Uhr

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