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Hungerkrise und Wirbelstürme Madagaskar: Wo Not auf Elend trifft

Mitten in der grössten Hungerkatastrophe seit 40 Jahren ist der Inselstaat von zwei Wirbelstürmen getroffen worden. Der Schweizer Botschafter Chasper Sarott zur Lage vor Ort.

«Das ist die schlimmste Krise in 40 Jahren», sagte die freie Journalistin Bettina Rühl noch im Oktober zu SRF News. «Die Menschen haben buchstäblich nichts mehr und sie essen alles, was sie finden – auch Gräser und Wurzeln oder Lehm, um irgendwie den Magen zu füllen», fasste Rühl die dramatische Situation zusammen.

Noch immer plagt der Hunger viele Menschen im Süden des Inselstaats. Als ob das nicht genug wäre, ist Madagaskar nun auch von zwei Wirbelstürmen heimgesucht worden. Die Schweiz hat ein Team mit Fachleuten ins Land geschickt.

Menschen sammeln Wasser aus austrocknenden Pfützen, November 2021.
Legende: Verschiedene Gründe spielen bei der Hungerkrise im Süden des Landes mit: eine jahrelang anhaltende Dürre, eine Plage von Wanderheuschrecken, der Einbruch des Tourismus und fehlende Einnahmequellen wegen der Pandemie. Keystone

Chasper Sarott ist der Schweizer Botschafter in Madagaskar und schätzt die Lage vor Ort ein. Nachdem der Osten der Insel am Wochenende vom tropischen Wirbelsturm «Batsirai» getroffen wurde, stelle man derzeit massive Schäden fest: «Drei Städte wurden massiv getroffen, teilweise wurden ganze Häuserreihen vernichtet.»

Nach Behördenangaben standen zu Wochenbeginn tausende Häuser unter Wasser oder wurden komplett zerstört, rund 60’000 Menschen wurden vorübergehend obdachlos. Bis am Mittwochmorgen starben mindestens 30 Menschen – die tatsächlichen Opferzahlen dürften aber weit höher sein.

Im Landesinnern kam es offenbar zu noch gravierenderen Schäden. Von dort fehlen laut dem Schweizer Botschafter noch detaillierte Informationen, denn teilweise liegen die Ortschaften sehr abgeschieden. «Ich habe soeben Neuigkeiten von einem Parlamentsabgeordneten erhalten. Er sagte mir, dass bei ihm etwa 90 Menschen ums Leben gekommen sind, zum Teil wurden ganze Dörfer zerstört.»

Luftbilder der Krisenregion
Legende: Auf Luftbildern ist zu erkennen, wie im Südwesten Madagaskars ganze Ortschaften und Ackerflächen unter Wasser stehen. Einige Brücken und Strassenverbindungen waren unterbrochen. Reuters

Derzeit versuchen Hilfsorganisationen – auch aus der Schweiz – die grösste Not zu lindern und die Trinkwasserversorgung wiederherzustellen. Durch schmutziges Wasser besteht die Gefahr einer Ausbreitung von Krankheiten wie Durchfall, Cholera, aber auch Malaria.

Hilfe dringt nur schwer zu den Menschen

Die abgelegenen Regionen im Landesinnern liessen sich zum Teil mit kleineren Fahrzeugen über Sekundärrouten erreichen, schildert Botschafter Sarott. Grössere Lastwagen mit Hilfsgütern gelangten aber nur sehr schwer zu den Menschen. Sobald sich das Meer wieder etwas beruhige, könnte Hilfe in grösserem Ausmass wieder die Küsten erreichen. «Für das Nötigste bleibt im Moment die Luftbrücke.»

Aufräumarbeiten nach dem Sturm «Batsirai»
Legende: Hilfsorganisationen befürchten nachhaltige Schäden, da die Menschen in der Region noch unter den verheerenden Zerstörungen des vorangegangenen Wirbelsturms «Ana» leiden. Reuters

Die offizielle Schweiz hat Madagaskar letztes Jahr mit zwei Millionen Franken unterstützt. Erst gerade wurden weitere 300'000 Franken gesprochen. «Dieses Geld ist für die Bewältigung der Schäden durch ‹Batsirai› vorgesehen, vorerst im Bereich der Wasseraufbereitung, wo die Schweiz viele Kompetenzen hat», sagt Sarott.

Den Teufelskreis durchbrechen

Mit dem Geld, das bereits letztes Jahr gesprochen wurde, sollen die Auswirkungen der Hungerkatastrophe im Süden des Landes gelindert werden. «Man hat mehrheitlich das Welternährungsprogramm bei Essensausgaben unterstützen können. Zudem will man mit einem Pipeline-Projekt weit entfernten Gemeinden Zugang zu sauberem Trinkwasser verschaffen», erklärt der Botschafter.

Damit der Krisenstaat für die Zukunft besser gerüstet ist und dem Klimawandel besser begegnen kann, muss laut Sarott ein Teufelskreis durchbrochen werden: «Wenn man nicht in mittel- und langfristige Lösungen investiert, besteht das Risiko, dass man ständig in Nothilfe verfällt. Es braucht Entwicklungsprojekte, die nachhaltig zur Verbesserung der Situation Ort beitragen.»

SRF 4 News, 09.02.2022, 06:40 Uhr ; 

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