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Ibiza-Untersuchungsausschuss Reparaturversuch an der politischen Kultur Österreichs

«Das Sittenbild, das dieses Ibiza-Video gezeigt hat, ist verheerend. (…) Es gibt offenbar Millionäre und sehr einflussreiche Personen, die glauben, Politik und Gesetze kaufen zu können.» Das sagt Kai Jan Krainer, sozialdemokratisches Mitglied des parlamentarischen Ausschusses, der jetzt den Ibiza-Skandal aufzuarbeiten versucht.

Doch der Ausschuss muss mittlerweile viel mehr klären, als die Frage, was genau damals auf Ibiza passiert ist, als der spätere Vizekanzler Heinz-Christian Strache einer vermeintlichen Oligarchennichte riesige Staatsaufträge gegen eine Parteispende versprochen hat.

ÖVP behinderte Arbeit

Im Verlauf der Ermittlungen untersuchte die «Sonderkommission Ibiza» die Handys von Strache und weiteren Verdächtigten. Dabei kamen neuerlich mutmassliche Korruptionsfälle (siehe Kasten) ans Licht, in die teilweise auch die Regierungspartei ÖVP von Kanzler Sebastian Kurz verstrickt ist.

Affären ohne Ende

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Im Zuge der Ermittlungen rund um das Ibiza-Video kamen weitere mutmassliche Korruptionsfälle ans Licht.

1. Die Casino-Affäre:

Dabei handelt es sich um mutmassliche Absprachen zwischen Politikern der ehemaligen österreichischen Regierungsparteien ÖVP und FPÖ sowie dem Glückspielkonzern Novomatic betreffend der Besetzung des Vorstandes der teilstaatlichen Casinos Austria und möglicher künftiger Glücksspiellizenzen.

2. Die Privatklinik-Affäre:

Der Betreiber der Wiener Privatklinik Währing, Walter Grubmüller, machte hohe Parteispenden an Straches FPÖ. Im Gegenzug erhielt er ein massgeschneidertes Gesetz, das ihm Zugriff auf staatliche Gelder ermöglichte.

3. Die Schredder-Affäre:

Ein Mitarbeiter des Bundeskanzlers namens Arno M. liess vor der Ankunft der polizeilichen Ermittler vorschriftswidrig Festplatten aus dem Kanzleramt schreddern. Die Sache flog auf. Ermittler Niko R., der den Fall untersuchen sollte, ist wie Arno M. Mitglied der Regierungspartei ÖVP. Niko R. untersuchte im Laufe der Ermittlungen nicht einmal den Computer des Verdächtigen. Arno M. wurde letzte Woche zum Abteilungsleiter im Kanzleramt befördert.

Die Folge: Statt die Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu unterstützen, behindert die Regierungspartei ÖVP deren Arbeit. So meldete das unter ÖVP-Leitung stehende Innenministerium dem Ausschuss nicht weiter, als es (bereits im April) in den Besitz des Ibiza-Videos gelangt war. Die Justizministerin schaltete sich ein. Trotzdem hat der Ausschuss das Video immer noch nicht zur Verfügung.

«Verkommene, verlotterte und verluderte politische Kultur»

Um trotzdem zu erfahren, was auf dem 20 Stunden langen Video alles zu sehen ist, lud der Ausschuss Florian Klenk ein, den Chefredaktor der Wochenzeitung «Der Falter». Der Investigativ-Journalist ist einer der wenigen Österreicher, die das Video in ganzer Länge gesehen haben.

Im Interview mit der Tagesschau sagt Klenk, das Video zeige eine «verkommene, verlotterte und verluderte politische Kultur». Er sei nicht zuversichtlich für den Untersuchungsausschuss. «Es werden Nebelbomben geworfen, anstatt die ganz entscheidenden Frage zu stellen, nämlich: erstens: Ist die Regierung käuflich gewesen oder verführbar? Zweitens: ist die Justiz wirklich so unabhängig, wie sie sein sollte, um solche Fragen zu beantworten?

Die Liste der Eingeladenen ist lang

Es gäbe eine Haupt- und eine Hinterbühne, so Klenk. Auf der Hauptbühne geht es um die Frage, wie die Volksvertreter und die Regierung die Interessen der Bürger verraten und verkauft haben. Auf der Hinterbühne geht es gegen jene, die das Ibiza-Video gedreht haben. Laut Klenk werde derzeit vor allem auf der Hinterbühne mit voller Kraft gefahndet. So werde derzeit mit grossem Aufwand nach der Darstellerin der Oligarchennichte gefahndet. Für Klenk ist das eine Nebelpetarde für die Hauptbühne.

42 Tage lang wird der Ausschuss tagen. Die Liste der Eingeladenen ist lang und umfasst auch Bundeskanzler Sebastian Kurz. Ziel des Untersuchungsausschusses ist es, die Affären aufzuklären und damit für die politische Kultur Österreichs einen Neuanfang zu ermöglichen. Doch angesichts der vielen Störmanöver im Vorfeld, sind Zweifel erlaubt, ob das gelingen kann.

Tagesschau, 4.6.2020, 12:45 Uhr

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