In einer Expertenrunde im SRF-Chat wurden Fragen zur Schweizer Armee und zur geopolitischen Sicherheitslage gestellt. Die wichtigsten Erkenntnisse:
Die ewige Neutralitätsdiskussion
Die Neutralitätsdebatte dominierte den Chat: Antoine Chaix ist Hausarzt und war mit Ärzte ohne Grenzen (MSF) im Einsatz in Kriegsgebieten. Er betont, dass konsequente Neutralität die Schweiz zur gefragten Vermittlerin machen könne – «denn eine konsequent umgesetzte Neutralität / Unparteilichkeit wäre meines Erachtens ein Mittel, die kein anderer Staat in der Vermittlung neuer Gleichgewichte übernehmen könnte», so der Arzt.
Militärhistoriker Fritz Kälin sieht den politischen Stillstand als Hauptproblem: Ein Konsens würde voraussetzen, dass Linke höhere Militärausgaben mittragen, die SVP internationale Kooperationen und moderne Ausrüstung anerkennt und die Mitte die Ungewissheit zukünftiger Partnerschaften bedenkt.
Das Image der Schweizer Armee
Wie es um das internationale Image der Schweizer Armee steht, wollte ein User wissen. Berufsoffizier und Präsident der kantonalen Offiziersgesellschaft Schwyz, Daniel Langenegger, spricht von seiner Erfahrung im Ausland: Die Schweizer Armee werde durchaus positiv wahrgenommen. «Wir brauchen uns mit unserer Milizarmee überhaupt nicht zu verstecken. Man akzeptiert, dass wir rein defensiv ausgerichtet sind, man nimmt uns also nicht als Bedrohung wahr.» Die Schweiz sei eher ein qualitativ hochwertiger Partner mit eher geringer Quantität, so Langenegger weiter.
Die Verteidigungsfähigkeit im Ernstfall
Die Schweizer Armee steht vor Herausforderungen wie fehlender Ausrüstung und Personal. Michael M. Olsansky, Dozent für Militärgeschichte an der Militärakademie an der ETH Zürich, weist darauf hin, dass dies die politischen Entscheidungen der letzten Jahrzehnte widerspiegelt: «Die Rüstungslücken der heutigen Schweizer Armee sind auf Nichtinvestitionen in den letzten 40 Jahren zurückzuführen ... Man ging einfach davon aus, dass sich der Krieg aus der europäischen Geschichte verabschiedet hat.»
Das Nato-Bündnis
Neue Verteidigungsbündnisse scheitern oft an widersprüchlichen Interessen, führt ein User an. Militärhistoriker Kälin: «Tatsächlich scheint die NATO politisch auseinanderzudriften, obwohl doch eine offensichtliche gemeinsame Bedrohung sie mehr denn je zusammenschweissen sollte.»
Der Grund dafür liege in den divergierenden Interessen und Werten der Mitgliedsstaaten. Kälin betont: «Es ist leichter, sich Zweckbündnissen anzuschliessen, als sich aus veralteten Beistandsverpflichtungen zu lösen.»
Europa in der Zukunft
Die Frage ist aufgetaucht, ob es Modelle gibt, wie Europa in zehn Jahren militärisch aussehen könnte. Fritz Kälin ordnet ein: «Nur etwas ist klar: Heute sind wir von schwach gerüsteten Freunden umgeben. In 10, 15 Jahren werden diese wieder nach- oder aufgerüstet sein.»
Heute sind wir von schwach gerüsteten Freunden umgeben.
Michael M. Olsansky sagt dazu: «Es wird wohl in den sicherheitspolitischen Denkfabriken und Thinktanks solche Überlegungen geben, aber faktisch weiss einfach niemand, was in 10 bis 50 Jahren sein wird. Wir wissen ja nicht einmal, wie sich der Ukrainekrieg am Ende dieses Jahres zeigt.» Niemand hätte sich vor zehn Jahren vorstellen können, dass sich Europa heute sicherheitspolitisch in der Situation befindet, in der es sich befindet. Alle als gesichert geltenden Annahmen seien über den Haufen geworfen worden.