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Immer mehr Atomwaffen Die eigentlich verbotene Bombe: Das müssen Sie wissen

Die Angst vor Nuklearwaffen ist seit dem Ukraine-Krieg so gross wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dabei dürfte es sie gar nicht mehr geben. Der Atomwaffen-Verbotsvertrag der UNO verbietet deren Herstellung, Kauf, Verkauf und erst recht den Einsatz. Doch die aktuelle Entwicklung verläuft konträr.

Was will der Atomwaffen-Verbotsvertrag? Der Vertrag setzt dort an, wo der weitaus ältere Atomsperrvertrag von 1970 seine Ziele verfehlt hat: Seit Inkrafttreten des Atomsperrvertrags sind Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel als Atommächte hinzugekommen, der Iran ist auf dem Weg dahin. Und die «alten Atommächte» rüsten nuklear keineswegs ab. Deshalb setzt das UNO-Atomwaffenverbot, das vor eineinhalb Jahren in Kraft trat, weitaus ehrgeizigere Ziele: Entwicklung, Bau, Lagerung, Handel, Tests, Transport und Einsatz von Atomwaffen sind verboten. Und zwar für alle Länder.

Der Atomsperrvertrag von 1970

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Der Atomsperrvertrag stammt aus der Zeit des Kalten Krieges. Er verbietet jegliche Weiterverbreitung von Nuklearwaffen über den Kreis der fünf «alten Atommächte» USA, Russland, China, Grossbritannien und Frankreich hinaus. Gleichzeitig verpflichteten sich diese mit dem Vertrag, ihre bestehenden Arsenale abzubauen – allerdings ohne Terminvorgabe. Beide Ziele wurden verfehlt.

Wer unterstützt den Vertrag? Mehr als 122 Staaten haben 2017 an der UNO-Generalversammlung dem Vertrag zugestimmt. 90 Länder haben ihn mittlerweile unterzeichnet, 62 haben ihn zudem bereits ratifiziert. Die grösste Unterstützung geniesst das Abkommen in Afrika, in Lateinamerika, bei den kleinen Karibik- und Pazifikstaaten und zum Teil in Südostasien.

Viele Organisationen kämpfen gegen Atomwaffen

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Zwei Personen mit Trump- und Putinmaske ringen darum, den Atomknopf zu drücken.
Legende: Aktivisten und Aktivistinnen von Ican Deutschland protestieren gegen den Besitz von Atomwaffen. Keystone

Federführend beim Engagement für das Verbot von Atomwaffen ist Ican, die weltweite Kampagne für eine Abschaffung von Nuklearwaffen. Sie erhielt für ihren Kampf den Friedensnobelpreis. Auch Organisationen wie das Internationale Rote Kreuz IKRK oder die Ärzte gegen den Atomkrieg unterstützen ein Verbot, zumal sich beim Einsatz von Atomwaffen unmöglich zwischen Angriffen auf Soldaten und andere Kämpfer einerseits und Zivilisten andererseits unterscheiden lässt. Das heisst, das humanitäre Kriegsvölkerrecht (Genfer Konventionen) wird zwangsläufig verletzt.

Auffallend ist, wer dem Atomwaffenverbot nicht beigetreten ist: Sämtliche Staaten, die selbst Atomwaffen besitzen. Ebenso die Nato-Staaten, da sich das westliche Bündnis ausdrücklich als «nukleare Allianz» bezeichnet, basierend auf US-Atomwaffen.

Was hat der neue Vertrag erreicht? Er signalisiert, dass eine Mehrheit der Staaten Atomwaffen ablehnen und als illegale und illegitime Waffengattung sehen. Das Abkommen spiegelt auch die Mehrheit der Weltbevölkerung, die sich selbst in Ländern, die über atomare Arsenale verfügen, gegen Atomwaffen wenden.

Die Hoffnung ist, dass die Ächtung zu einem politischen Umdenken bei den Atommächten und jenen, die es werden wollen, führt. Praktische Wirkungen hat das UNO-Abkommen auch in der Wirtschaft. Eine wachsende Zahl von Investoren und Pensionskassen haben sich in den letzten Jahren verpflichtet, nicht mehr in Firmen zu investieren, die am Atombombenbau beteiligt sind.

Reduziert der Vertrag die Atomarsenale? Nein, bisher nicht. Zwar haben Russland und die USA, die zusammen rund 90 Prozent aller Atomwaffen besitzen, ihre Arsenale zahlenmässig reduziert. Gleichzeitig investieren sie aber zig Milliarden in die Modernisierung ihrer Waffen. Sie haben also weniger, jedoch ungleich potentere.

Auch alle übrigen Atommächte arbeiten am Ausbau ihrer Arsenale. Man kann fast von einem «Comeback der Atomwaffen» sprechen. Dazu kommt: Der russische Staatschef Wladimir Putin droht unverhohlen mit dem Einsatz von Atomwaffen. Das nährt die Sorge, dass Atomwaffen nicht länger als Waffe gelten, die ein paar wenige Länder zwar besitzen, die «man aber nie einsetzt».

Und was tut die Schweiz? Sie stimmte zunächst dem UNO-Atomwaffenverbot zu. Der Bundesrat weigert sich aber seither, es zu unterzeichnen und die Ratifizierung einzuleiten – obschon das Parlament den Beitritt der Schweiz verlangt.

Verwunderte Stimmen aus dem Parlament

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Für GLP-Nationalrätin Tiana Angelina Moser ist die zögerliche Haltung des Bundesrats unerklärlich. Auch SP-Ständerat Daniel Jostisch wundert sich, weshalb der Bundesrat bei der Unterschrift unter den Atomwaffen-Verbotsvertrag zögert. «Ich habe nie klar verstanden, was hier die Überlegungen sind.»

Der Verbotsvertrag könnte laut dem Aussendepartement jedoch kontraproduktiv sein: «Wir befürchten, dass der ambitiöse neue Vertrag, der von den Kernwaffen-Staaten und von den meisten grösseren Staaten nicht unterzeichnet ist, dann die Arbeitsweise im alten Vertrag erschwert. Und im alten Vertrag, da sind alle Kernwaffen-Besitzer dabei», sagt Reto Wollenmann , stellvertretender Sektionschef Rüstungskontrolle.

Auch FDP-Ständerat Andrea Caroni sieht das ähnlich: «Zu unserer Sicherheit gehört, dass Schurkenstaaten oder Autokratien nicht alleine mit Atomwaffen auf dem Planeten herumstehen. Man stelle sich in der heutigen Zeit vor, Russland wäre der einzige Atomwaffenstaat.»

Die Mitte hat wegen des Ukraine-Krieges seine Position verändert, wie Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter erklärt: «Kein einziges Nato-Land ist dem Atomwaffen-Verbotsvertrag beigetreten. Wir müssen andere Instrumente finden, um Atomwaffen langfristig zu verhindern.»

Als Gegenargument nennt die Regierung etwa, dass die Schweiz dann als Mediatorin in Sachen nuklearer Abrüstung nicht mehr infrage komme und vor allem, dass man den alten Atomsperrvertrag von 1970 stärken wolle. Dazu dürfte kommen, dass man es mit den USA und den übrigen Nato-Staaten nicht verscherzen will, die bisher allesamt abseitsstehen beim Atomwaffen-Verbotsvertrag.

Tagesschau, 21.06.2022, 18:00 Uhr

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