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Impfquote von 87 Prozent Wieso will Impf-Champion Portugal die Massnahmen verschärfen?

Auch in Portugal steigen die Corona-Fallzahlen wieder, obschon die Impfquote mit rund 87 Prozent in kaum einem anderen europäischen Land höher ist. Die Lage in den Spitälern ist zwar noch entspannt. Trotzdem hat die Regierung neue Massnahmen angekündigt. Das hat auch mit den baldigen Wahlen zu tun, wie der Journalist Tilo Wagner weiss.

Tilo Wagner

Journalist

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Der freie Korrespondent lebt seit Jahren in Portugal.

SRF News: Wieso drängt die Regierung auf neue Massnahmen trotz derzeit relativ kontrollierter Pandemielage?

Tilo Wagner: Portugal agiert seit der grossen Krise im Januar mit sehr vielen Infektionen, überlasteten Spitälern und Toten sehr vorsichtig. So gab es hier im Sommer beispielsweise keinen grossen «Freedom Day» wie in Grossbritannien. Auch gilt in den Schulen oder Einkaufszentren weiterhin eine Maskenpflicht. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Regierung jetzt wieder etwas auf die Bremse drückt.

Ministerpräsident Costa leitet jetzt das Nötige in die Wege, damit die Pandemie unter Kontrolle bleibt.
Autor:

Ende November wird das Parlament aufgelöst, Ende Januar stehen vorzeitige Neuwahlen an. Welchen Einfluss hat das auf Costas Vorgehen?

Weil im Dezember und Januar kein Parlament im Dienst sein wird, könnten dann Verschärfungen, wie etwa die Ausrufung der Notfalllage nicht in Kraft gesetzt werden. Costa scheint jetzt also noch vor Auflösung des Parlaments das Nötige in die Wege leiten zu wollen, damit die Pandemie weiterhin unter Kontrolle bleibt.

Der Druck ist gross, die Wirtschaft jetzt nicht durch einen neuen Teil-Lockdown zu strapazieren.
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Welche neuen Massnahmen stehen zur Diskussion?

Costa will beispielsweise wieder kostenlose Tests in den Apotheken einführen. Auch wird erwartet, dass die hygienischen Massnahmen etwas verschärft werden – etwa dass die Maskenpflicht in kleineren Läden oder Cafés wieder eingeführt wird. Der Druck in den Medien und der Gesellschaft, die Wirtschaft jetzt nicht durch einen neuen Teil-Lockdown wieder zu strapazieren, ist jedoch gross. Schliesslich garantiere die hohe Impfquote eine gewisse Sicherheit für den Gesundheitssektor und die Gesellschaft, wird argumentiert.

In Portugal sind bald 90 Prozent der Menschen geimpft. Wieso ist die Impfquote dort so hoch?

Zum einen herrscht ein grosses Vertrauen in Wissenschaft und Medizin. Dieses gründet unter anderem darin, dass sich viele ältere Portugiesinnen und Portugiesen noch gut an die hohe Kindersterblichkeit der 1970er-Jahre erinnern. Durch Impfungen und ein besseres Gesundheitssystem konnte diese in den letzten Jahrzehnten behoben werden.

Viele Portugiesinnen und Portugiesen erinnern sich noch gut an die hohe Kindersterblichkeit der 1970er-Jahre.
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Zum anderen leben die Generationen in Portugal eng zusammen. Dabei entsteht ein grösseres Bewusstsein dafür, dass man die anderen schützen muss. Dieser Effekt ist in der portugiesischen Gesellschaft stark verankert – und deshalb lässt man sich auch dann impfen, wenn man vielleicht Bedenken hat.

Wie besorgt schaut Portugal auf die bevorstehende Weihnachtszeit?

Weil das Infektionsgeschehen ansteigt, gibt es durchaus Bedenken. Doch man will dagegen vor allem durch die Booster-Impfung für Über-65-Jährige angehen, die noch vor Weihnachten abgeschlossen sein soll. Auch wird es sicher Appelle geben, sich vor Familienfeiern testen zu lassen.

Auf keinen Fall soll es ein Weihnachtsfest wie 2020 geben.
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Auf keinen Fall soll es ein Weihnachtsfest wie 2020 geben. Dieses wurde zu einem Treiber einer sehr schwierigen Situation im Januar mit sehr vielen Toten. Doch angesichts der hohen Impfquote und dem vorsichtigen Vorgehen wird es kaum zu einer derart dramatischen Situation kommen.

Das Gespräch führte Zoe Geissler.

SRF 4 News, 19.11.2021, 10:20 Uhr ; 

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