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Indien und Pakistan Entkolonialisierung: «Man fokussiert vor allem auf das Positive»

Am 15. August 1947 wurde das ehemalige Britisch-Indien aufgrund religiöser und ethnischer Konflikte aufgeteilt. Die Länder wurden unabhängig von der Kolonialmacht Grossbritannien. Die freie Asienjournalistin Natalie Mayroth spricht über das Verhältnis der Staaten Pakistan und Indien heute.

Natalie Mayroth

Freie Korrespondentin, Mumbai

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Mayroth ist freie Korrespondentin in Mumbai. Sie arbeitet als Reporterin für verschiedene deutsche Medien. Ihr Studium an der LMU München hat sie mit einem Magister in Europäischer Ethnologie, Soziologie und Iranistik abgeschlossen. Mayroth lebt zwischen Moosburg und Mumbai.

SRF News: Wie begehen die beiden Länder Pakistan und Indien diesen wichtigen Jahrestag?

Nathalie Mayroth: In Indien wird heute gefeiert. Viele Häuser und Brücken waren schon am Vortag in den Nationalfarben beleuchtet. Und dieses Jahr soll auch jedes indische Haus oder jede Familie eine Trikolore haben. In Pakistan dagegen wurde der Kuchen vom Premier Shehbaz Sharif schon gestern angeschnitten.

Das Kolonialgebiet Britisch-Indien von 1937 bis 1947.
Legende: Das Kolonialgebiet Britisch-Indien von 1937 bis 1947. SRF

Bei der Teilung sind viele Menschen gestorben oder mussten flüchten. Wie spürt man das bei diesen Feierlichkeiten?

Es ist im kollektiven Bewusstsein, dass es eine Unabhängigkeit war, die sehr teuer bezahlt worden ist. Man schätzt, dass eine Million Menschen gestorben sind.

Natürlich ist den Menschen in beiden Ländern klar, dass dieser Schritt einen hohen Preis hatte.

Etwa 15 Millionen wurden vertrieben. Aber dadurch, dass Indien und Pakistan unabhängig geworden sind und das nochmal eine Welle der Unabhängigkeit in Südasien losgetreten hat, fokussiert man sich vor allem auf das Positive. Natürlich ist den Menschen in beiden Ländern klar, dass dieser Schritt einen hohen Preis hatte. Es kam über Nacht, dass von einem britischen Juristen die sogenannte Radcliffe-Linie gezogen wurde. Plötzlich wurden Bundesstaaten, Dörfer und Familien getrennt.

Ein Gesicht, das vierfarbig angemalt ist, orange, weiss, grün und ein blaues Rad auf der Nase
Legende: In Indien wird die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Grossbritannien heute gefeiert. IMAGO/Pacific Press Agency

Wie gut oder schlecht ist die Beziehung zwischen Pakistan und Indien jetzt, nach 75 Jahren?

Sie ist im Endeffekt nicht so gut. Die Teilung der beiden Länder war ein grosses Trauma. Dieses Trauma ist langsam vergessen. Die aktuelle Situation zwischen beiden Ländern ist weiterhin angespannt. Es gab zwar einen regen Austausch in der Vergangenheit; pakistanische Sänger waren in Indiens Filmszene in Bollywood sehr beliebt, aber es gibt seit mehreren Jahren kaum mehr Visa. Dafür gibt es seit 2019 Pilgervisa für die Minderheit der Sikh. Die haben ihr grösstes Heiligtum in Pakistan und da wurde ein neuer Korridor eingerichtet.

Indien und Pakistan sind beides Atommächte. Wie wirkt sich das auf die Spannungen und auf die Beziehungen aus?

Ich glaube nicht, dass es im Interesse von Indien und Pakistan ist, noch einen Krieg zu führen. Von der geopolitischen Perspektive her und auch aus Indiens Perspektive ist es viel wichtiger, China im Auge zu behalten. China ist ein wichtiger Spieler in der Region und Indien teilt eine Grenze mit China. Und China ist in vielen Nachbarländern aktiv, beispielsweise auch in Pakistan, wo die neue Seidenstrasse gebaut wird.

Eine junge Frau mit einem Hut in den pakistanischen Farben grün und rot und mit grüner und roter Schminke im Gesicht
Legende: Pakistan feierte seinen Unabhängigkeitstag gestern. Keystone/EPA/RAHAT DAR

Wie geht es weiter in nächster Zeit mit dieser Region?

Aktuell sehen wir in Südasien die Nachwehen der Pandemie. Pakistan hat kürzlich ein Rettungspaket des Internationalen Währungsfonds erhalten und wird wahrscheinlich auch noch eines erhalten. Die Wirtschaft Pakistans ist geschwächt. In Indien sieht die Lage noch stabil aus. Die indische Regierung versucht, mit verschiedenen Steuererhöhungen auf Dienstleistungen und auf Waren die Steuereinnahmen weiter zu erhöhen.

Die Lebenserwartungen und die Alphabetisierungsrate sind gestiegen.

In jedem Fall haben die Nachfolgestaaten von Britisch-Indien sehr grosse Erfolge erzielt, was die Sterblichkeitsrate von Müttern und Kindern angeht. Die Lebenserwartungen und die Alphabetisierungsrate sind gestiegen. Doch es gibt noch höhere Ziele. Beides sind Schwellenländer. Der indische Premier hat gesagt, dass er in 25 Jahren Indien schon in der nächsten Stufe sieht.

Heutige politische Aufteilung des Gebietes: Pakistan, Indien und Bangladesch.
Legende: Heutige politische Aufteilung des Gebietes: Pakistan, Indien und Bangladesch. SRF

Das Gespräch führte Isabelle Maissen.

SRF 4 News, 15.08.2022, 06:45 Uhr ; 

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