Dutzende junge Leute in Schuluniform strömen zum Eingang eines mehrstöckigen Bürogebäudes. In den nächsten Stunden werden sie hier, im grössten Coaching-Institut von Kota, für die Aufnahmetests an den besten technischen Universitäten des Landes büffeln. Viele Studierende hoffen, dass ihre Chancen besser werden, wenn sie sich in Kota jahrelang vorbereiten.
Bis zu 225'000 junge Menschen aus ganz Indien pauken hier in einem der diversen Nachhilfeinstitute in der Kleinstadt Kota im nordwestlichen Bundesstaat Rajasthan. Viele erreichen ihr Ziel erst nach mehreren Anläufen, viele auch gar nicht.
Der Pionier
Ohne Pramod Maheshwari gäbe es das heutige Kota nicht. Der 53-Jährige fing Anfang der 1990er Jahre an, in seiner Heimatstadt Kota Nachhilfe in Physik zu geben, im Duo mit einem Mathematiklehrer. Sie waren erfolgreich: Überdurchschnittlich viele ihrer Studierenden schafften den Aufnahmetest an eine der besten Universitäten des Landes.
Darum schicken immer mehr Eltern ihre Kinder nach Kota. Die Bewohner Kotas bauten ihre Häuser in Hostels für Studierende um, gründeten Studentenküchen. Es war der Anfang der 500 Millionen Dollar schweren Lernfabrik, die Kota heute ist.
«Zu Beginn hatten wir sensationellen akademischen Erfolg, weil wir nur die Talentiertesten in unsere Kurse aufnahmen», sagt Maheshwari. Doch ab der Jahrtausendwende gab es immer mehr Coaching-Institute in Kota.
Von den Zehntausenden sind nur fünf Prozent hochbegabt. Niemand sagt den anderen, dass sie den Test wahrscheinlich nicht bestehen.
Die Institute begannen, auch weniger begabte junge Leute zu akzeptieren, sagt der Coaching-Unternehmer. Es sei bald mehr ums Geldverdienen gegangen als um gute Bildung.
Von den Zehntausenden Studierenden, die nach Kota kämen, seien nur fünf Prozent hochbegabt, sagt Maheshwari. Nur sie hätten Chancen, in den Tests weit vorn zu landen. Um sie buhlten alle Institute, mit Stipendien und sogar Jobangeboten für die Eltern.
Mit den übrigen 95 Prozent Studierenden verdienten die Institute ihr Geld. Niemand sage ihnen, dass sie den Test wahrscheinlich nicht bestehen. Pramod Maheshwari ist nicht glücklich über diese Entwicklung, obwohl er mit seiner Coaching-Kette «Career Point» selbst ein wichtiger Mitspieler in der Branche ist.
Kotas DNA ist zerstört worden. Die DNA war exzellent. Jetzt ist es sehr kommerziell geworden.
Kotas DNA sei zerstört worden, stellt Maheshwari fest. «Die DNA war exzellent. Jetzt ist es sehr kommerziell geworden.» Das zeige sich in deutlich schlechteren Ergebnissen der Kota-Zöglinge bei den landesweiten Tests. Seit 2005 hätten es mehr als ein Drittel der Studierenden aus Kota landesweit unter die Top 100 gebracht. Heute seien es manchmal zwei, manchmal fünf Prozent.
Suizide nach Misserfolgen häufen sich
Das führe zu einem hohen Stresspegel bei den Studierenden, räumt der Bildungsunternehmer ein. Die Folge davon: Drogenmissbrauch, Depressionen, manchmal Selbstmord. Allein in diesem Jahr haben sich schon zwölf Studierende in Kota das Leben genommen. Anfang Mai starb ein 20-Jähriger kurz vor seinem dritten Anlauf zum Medizinstudium. Er hinterliess eine Botschaft: «Sorry, Papa. Ich habe es wieder nicht geschafft.»