Ein Richtfest mit heranfahrenden Hausbooten gibt es nicht alle Tage. Doch genau dafür haben sich die rund hundert Bewohnerinnen und Bewohner des nigelnagelneuen Amsterdamer Viertels «Schoonschip» entschieden.
Schliesslich ist es das erste Mal, dass in Europa ein schwimmendes Quartier entsteht, das nicht nur äusserst sozial, sondern zu hundert Prozent nachhaltig und kreislaufwirtschaftlich organisiert ist.
Nicht nur Bekannte und Nachbarinnen kommen vorbei. Auch Marieke van Doorninck, die in der Stadtregierung für Nachhaltigkeit zuständig ist, macht den Bewohnern ihre Aufwartung. Die Pioniere von «Schoonschip» hätten enorme Ausdauer und ein langes Durchhaltevermögen gehabt, lobt die Exekutivfrau: «Sie mussten sehr oft Dinge neu erfinden.»
Der Stadt kommt das innovative Viertel sehr entgegen. Denn das Wiederverwenden von allerlei (Grund-)Stoffen wird stark propagiert; bis 2050 will Amsterdam vollständig auf Kreislaufwirtschaft umgestellt haben. Entsprechend haben die Beamten im Rathaus jeweils tatkräftig mitgeholfen, um eine einvernehmliche Lösung für die umweltfreundlichen Anliegen der Pioniere von «Schoonschip» zu finden.
An einem der fünf langen Stege stehen Martijn und Natalie mit ihren Söhnen und schauen zu, wie ihr schwimmendes Holzhaus vertäut wird. Zehn Jahre habe er auf diesen Moment gewartet, erzählt der 44-jährige Journalist. Er strahlt vor Glück und kann es noch immer kaum glauben, dass es ihm und seinen Freunden trotz vieler Hürden geglückt ist, dieses emissionsarme Viertel auf die Beine zustellen.
Tatsächlich besteht «Schoonschip», dessen Name sowohl «sauberes Schiff», als auch «reinen Tisch machen» bedeutet, aus insgesamt 46 Haushalten auf 30 Wohnbooten. Sauber sind diese auf einem Kanal im Amsterdamer Stadtteil Noord schwimmenden Schiffe tatsächlich.
500 Sonnenkollektoren als «Kraftwerk»
Für deren Bau wurden ausschliesslich nachhaltige oder wiederverwertbare Materialien wie Holz oder Flüssigkork verwendet. Wärmepumpen sind für die Heizung im Winter und die Kühlung im Sommer verantwortlich. Auf den Dächern grünt und blüht es – neben vielen Sonnenkollektoren. Insgesamt bilden 500 Module zusammen das «Kraftwerk» von «Schoonschip».
Die Sonnenenergie wird in Batterien in den Bäuchen der miteinander verbundenen Schiffe aufbewahrt oder ans Netz verkauft und zu einem günstigeren Zeitpunkt zurückerworben. Den optimalen Zeitpunkt für solche Transaktionen errechnet ein eigens für dieses Projekt geschriebenes Softwareprogramm.
Dünger aus Toilettenwasser
Dieses sogenannte «Smart Grit» sei in den Niederlanden (noch) verboten, erklärt Städtebauer Sascha Glasl, der den Masterplan für das ganze Quartier erstellt hat: «Wir haben vom Ministerium in Den Haag einen Experimentierstatus bekommen, damit wir das jetzt erproben können.»
Die Amsterdamer Wasserwerke boten Hand für eine andere Pionierleistung. Dank dieser wird das «schwarze» Toilettenwasser des Viertels nun in einer nahegelegenen Bioraffinerie in Gas und Dünger umgewandelt.
30 Architekten für 30 Boote
Beim Betreten der fünf Stege fällt ins Auge, dass sich jedes Hausboot vom anderen unterscheidet. Nicht nur farblich, sondern in erster Linie im Design – es waren schliesslich auch 30 Architekten am Werk.
Sie mussten sich alle an die Auflagen von Städtebauer Glasl halten. Dazu gehörten unter anderem die optimale Isolation der Wände sowie dreifach verglaste Fenster, aber auch etwa die bauliche Beschränkung von maximal zwei Etagen über Wasser.
Kein eintöniges Quartier
Selbstverständlich waren nur natürliche oder wiederverwertbare Baumaterialien zugelassen. Der am meisten verwendete Grundstoff ist Holz – in allen Farben und Schattierungen.
Eintönig ist das unübliche Viertel deswegen nicht geworden, im Gegenteil: Es gibt Wasserhäuser, die nautisch passend mit Bullaugen ausgestattet sind, andere verfügen über ganze Glasfronten. Und bei einer Wasservilla wurde gar ein Treibhaus angebaut.
Ein Dorf in der Stadt
Um herauszufinden, wie sich die rund 100 Menschen das zukünftige Zusammenleben vorstellen, hatte Glasl mehrere Workshops organisiert. «Ihr grösster Wunsch war, dass ‹Schoonschip› ein richtiges Dorf wird», hat Glasl herausgefunden. Deshalb die Beschränkung auf zwei Stockwerke.
Und um den dörflichen Charakter noch mehr zu unterstreichen, liess er an den fünf Längsstegen Querverbindungen anlegen. Auf diese Weise entstand eine Privatstrasse.
Keine Zeit für einen Schwatz
Das kann auch Nachteile haben. «Wir müssen an der nächsten Sitzung besprechen, wie wir mit unseren ständigen Treffen umgehen», sagt Marjan de Blok lachend. Die 41-Jährige hat vor über zehn Jahren die Initiative für dieses Viertel ergriffen.
In der langen Vorbereitungszeit sei die Gruppe zu einer engen Freundesclique zusammengewachsen. Aber jetzt, wo sie alle zusammenwohnten, hätten sie nicht immer Zeit für einen Kaffee: «Manchmal musst du schlicht zur Arbeit», sagt De Blok.
«Das macht doch alle glücklich»
Noch ist das Viertel nicht fertig. Es fehlt beispielsweise der geplante kollektive Raum, in dem dereinst Lesungen abgehalten und Kurse durchgeführt werden sollen.
Auch darauf freut sich der Journalist Martijn. Doch im Moment schaut der Niederländer gedankenverloren auf das Wasser neben seinem soeben am Steg vertäuten neuen Haus. Sozial und nachhaltig mit anderen zusammen leben, dafür habe er sich in den letzten zehn Jahren eingesetzt: «Die Umwelt so wenig wie möglich belasten, lieb und nett sein zueinander, das macht doch alle glücklich.»