SRF News: Sie sagen, die europäischen Rettungsprogramme seien ein Misserfolg. Allerdings haben einige Länder nun dank dieser Programme wieder Tritt gefasst...
Heiner Flassbeck: Wenn man sich die Zahlen anschaut, sieht man, dass es mit dem «Tritt gefasst» nicht weit her ist. Alle betroffenen Länder mit Ausnahme Irlands sind abgestürzt. Allerdings ist Irland ein sehr untypisches Land mit einer extrem hohen Exportquote und einem sehr grossen Anteil an ausländischen Unternehmen, die in Irland produzieren. In den anderen drei Ländern ist die Wirtschaft eingebrochen und liegt immer noch dort am Boden, wo sie nach dem Einbruch lag – auf vergleichsweise extrem niedrigen Niveau. Das gilt auch für Spanien und Portugal. Wenn in der Öffentlichkeit von «Aufschwung» die Rede ist, stimmt das einfach nicht.
Das Ganze ist eine Misserfolgs-Story ohnegleichen.
Nehmen wir das Beispiel Irland: 2010 schlüpfte es als erstes Land unter einen europäischen Rettungsschirm, Ende 2013 lief das Programm aus. Jetzt ist Irland zum dritten Mal in Folge Wachstums-Sieger in Europa, die Arbeitslosigkeit liegt mittlerweile unter zehn Prozent...
Ganz Europa stagniert seit 2011, in der gesamten Wirtschaft gibt es überhaupt keine Bewegung, in einigen Ländern herrscht gar eine Rezession. Abgesehen von ganz kleinen osteuropäischen Ländern ist Irland das einzige Land, in dem es etwas aufwärts geht. Deshalb: Wenn man gegen Lahme läuft, ist man leicht Wachstumssieger. Passiert ist Folgendes: In den Ländern unter dem Rettungsschirm wurden die Löhne gesenkt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Nun hat Irland eine Exportquote von über 100 Prozent des BIP – was schwer vorstellbar ist, aber stimmt. Das Land importiert unendlich viel und exportiert unendlich viel. Deshalb hatte die Senkung der Löhne in Irland auch eine positive Wirkung auf die Beschäftigung. Das heisst aber nicht, dass die Menschen darüber nur glücklich sind. Gerade ist die amtierende irische Regierung abgewählt worden. In den anderen Ländern hat die Lohnsenkung aber bloss dazu geführt, dass die Binnennachfrage eingebrochen ist. Weil der Exportanteil dort viel zu klein ist, geht es überhaupt nicht aufwärts. Hinzu kam die restriktive Fiskalpolitik, so dass das Ganze eine Misserfolgs-Story sondergleichen ist.
Sind die Zyprer verrückt geworden oder die EU-Kommission?
Die geretteten Länder haben Geld erhalten und mussten dafür Sparauflagen wie Lohnsenkungen erfüllen. Was wäre denn die Alternative, damit diese Länder nicht solche Ihrer Ansicht nach kontraproduktive Auflagen erfüllen müssten?
Das Geld, das die Länder erhalten, verhindert ja bloss, dass sie Pleite gehen, sie können ihre Schuldendienste weiter begleichen. Normalerweise werten Länder in dieser Situation ihre Währung ab. Dazu muss man aber eine eigene Währung haben. Ein Euroland müsste also aus der Währungsunion aussteigen. Das ist die einfache Logik. Innerhalb des Euro ist die einzige Möglichkeit ein Anpassungsprogramm. Man hat dann die Möglichkeit, ein vernünftiges Programm zu machen, oder aber ein Irrsinnsprogramm, wie man das bisher gemacht hat. Dass dem so ist, sieht man daran, dass diese Länder überhaupt nicht auf die Füsse kommen. Schauen Sie die Wahlergebnisse in Spanien oder Portugal an: Die Menschen sind verzweifelt, die Arbeitslosigkeit ist weiterhin extrem hoch. Es ist also überhaupt nichts gewonnen.
Etwas ist fundamental gescheitert.
Kommen wir wieder auf Zypern zurück: IWF-Chefin Christine Lagarde sagte, Zypern habe die Wende geschafft, die Wirtschaft wachse und man habe Ausgaben und Staatsschulden im Griff. Insofern sind die Aussichten doch nicht schlecht für Zypern?
Das stimmt eben auch nicht. Es sieht zwar so aus, wenn man diese offiziellen Erklärungen berücksichtigt. Wenn man aber die offiziellen Zahlen der Europäischen Kommission zu Zypern genau anschaut, treibt das einem die Tränen in die Augen. So gibt es in diesem Jahr etwa eine negative Sparquote von zehn Prozent. Das heisst: die Zyprer verschulden sich allein in diesem Jahr zusätzlich um zehn Prozent, und im nächsten Jahr soll das nochmals so weitergehen. Da fragt man sich, ob die Zyprer verrückt geworden sind, oder ob die EU-Kommission verrückt geworden ist. Denn in Zypern ist überhaupt nichts in Ordnung. Der Staat hat sich irgendwie saniert – wenn die Sparquote der Haushalte negativ ist, muss das irgendwie auf deren Kosten geschehen sein. Deshalb sagt man in Brüssel nun – gemäss der wunderbaren Ideologie, die dort herrscht – es sei nun alles gut, Hauptsache der Staat sei saniert. Ob der Rest der Wirtschaft zugrunde geht, ist ziemlich egal.
Wenn alle nur sparen, dann bricht die Wirtschaft zusammen.
Sie üben viel Kritik an den Rettungsprogrammen. Sehen Sie gar keine positiven Aspekte der Hilfspakete? Was wäre denn die Alternative zu einem Ausstieg aus der Währungsunion?
Eine vernünftige Wirtschaftspolitik. Sehen Sie: Die Niederlande sind in einer Rezession, Finnland und Italien auch. Frankreich kommt nicht aus der Stagnation heraus, überall in der EU ist die Arbeitslosigkeit hoch. Einzig Deutschland geht es relativ gut, doch auch hier stagniert die Wirtschaft seit einigen Jahren. Man muss sehen, dass etwas fundamental gescheitert ist. Nach einer tiefen Rezession wie jener von 2008 hat es in der jüngeren Geschichte noch nie eine so schlechte wirtschaftliche Entwicklung gegeben. Deshalb muss ich sagen: Es läuft überhaupt nichts gut. In allen Ländern braut sich eine furchtbare Mischung aus Rechts- oder Linksradikalismus zusammen. Die Leute sind verzweifelt und sagen: «So kann es nicht weitergehen, die Regierenden müssen jetzt mit Gewalt abgewählt werden».
Was müsste man wirtschaftspolitisch also besser machen?
Es braucht eine intelligente Wirtschaftspolitik, die nicht nur auf Sparen setzt. Wenn alle nur sparen, bricht die Wirtschaft zusammen, das ist ganz einfach. In der Schweiz ist das vielleicht nicht so einfach zu verstehen, denn auch dort gibt es viele, die glauben, sparen allein löse alle Probleme. Doch dem ist nicht so. Wenn man die angelsächsischen Länder anschaut, etwa die USA, sieht man, dass es auch ganz anders und vor allem viel besser geht. Die USA stehen heute wirtschaftlich unendlich viel besser da als Europa. Sie haben eine pragmatische Wirtschaftspolitik betrieben und den Sparwahn nicht mitgemacht.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.