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Die EU-Kommission in Bürssel von aussen, davor wehen EU-Flaggen
Legende: Die Finanzkrise war Neuland für alle Beteiligten, so Freiburghaus. Und der Lernprozess dauere an. Reuters

International «Alle schrien nur noch Krise!»

Hat die EU-Kommission die Finanzkrise erst verschlafen – und dann als Krisenmanager versagt? Europa-Experte Dieter Freiburghaus nimmt die Behörde in Schutz: Die Kritik des EU-Rechnungshofs sei weniger scharf, als kolportiert werde. Und Schuldige gebe es viele.

SRF News: Sie relativieren die Kritik des Rechnungshofes – warum?

Dieter Freiburghaus

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Der Politologe und Publizist ist emeritierter Professor für Institutionelle Politik und Europäische Integration. Freiburghaus arbeitete am Institut de hautes études en administration publique (IDHEAP) in Lausanne (1988 bis 2007).

Dieter Freiburghaus: Der Rechnungshof ist immer sehr kritisch. Er hat etwa kürzlich kritisiert, dass man zwölf Milliarden Euro zur Verbesserung der Wasserqualität an der Donau in den Sand gesetzt habe. Man sollte einmal das Fazit der Rechnungsprüfer (bei der Kritik an der EU-Kommission) lesen. Sie schreiben: «Angesichts der Tatsache, dass die Brüsseler Behörden mit ihrem Hilfseinsatz Neuland betreten haben, können sich die Ergebnisse durchaus sehen lassen.» Also: Man kann selektiv lesen und nicht nur die Kritik hervorheben – das machen die Medien gerne. So besonders stark ist diese Kritik nicht.

Fakt ist: Es gibt Mechanismen, die dazu da sind, die Finanzen der Mitgliedstaaten zu überwachen. Die haben damals offenbar versagt.

Die meisten Leute, die jetzt darüber sprechen, haben keine Ahnung von den Berichten des Rechnungshofes.

Nein, das haben sie nicht. Die EU-Kommission überwacht die Finanzen immer, seit Jahren und seit es die Stabilitätskriterien von Maastricht gibt. Die Kommission rapportiert das auch regelmässig; man kann das in der Zeitung lesen. Um Staaten zu sanktionieren, braucht es aber einen Beschluss des Ministerrates. Ich denke, dass man nun in der Kommission einen Sündenbock sucht. Der Ministerrat war damals wichtiger, genauso wie der Krisenfonds, die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF). Sie alle haben nichts bemerkt.

Dann hat sich der EU-Rechnungshof ihrer Meinung nach das falsche Gremium vorgeknüpft – die EU-Kommission ist bloss der Blitzableiter?

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Er ist nicht der Blitzableiter, die Kritik ist sicher berechtigt. Aber sie trifft ein Stück weit den Falschen; die anderen Akteure sind im Windschatten und man schlägt auf die Kommission ein. Wieso haben die Staaten, wieso haben die EZB und der Währungsfonds das alles nicht gemerkt? Ich sehe nicht ein, warum die EU-Kommission die Hauptlast tragen soll.

Was sagen Sie zur Kritik, dass die EU-Kommission damals Geld vergeben, aber nirgendwo dokumentiert habe, wer wie viel davon bekam? Das klingt nicht gerade nach krisenerprobtem Agieren.

Sie können jede Verwaltung untersuchen – und irgendetwas wurde irgendwann nicht dokumentiert. Die meisten Leute, die jetzt darüber sprechen, haben keine Ahnung von den Berichten des Rechnungshofes. Sie wissen nicht, wie diese Berichte ins Detail gehen. Man findet immer etwas, das ist auch bei jedem Bundesamt so. In dieser Adhoc-Situation schrien alle nur noch «Krise!»; niemand wusste mehr genau, was zu tun ist. Wenn man nicht völlig praxisfern ist, kann man sich vorstellen, dass dann auch mal etwas nicht dokumentiert wird.

Denken Sie, dass die Kritik des EU-Rechnungshofes etwas bewirken wird?

Normalerweise sind die Institutionen relativ robust gegen solche Kritik. Und wenn sie nicht schärfer ist, als in diesem Fall, wird das auch nicht viel verändern. Wir sind alle am Lernen – mit der Zeit werden wir wissen, wie man eine Finanzkrise bewältigen kann. Aber damals wussten wir es noch nicht.

Das Gespräch führte Susanne Schmugge.

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