SRF News Online: Welchem Zweck dient die Nahost-Reise von US-Präsident Barack Obama?
Tamar Amar-Dahl: Es geht aus amerikanischer Sicht um Beziehungspflege zum wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten. Der Besuch Obamas ist rein atmosphärisch.
Sieht Israel das auch so?
Die israelische Seite hält den Besuch für sehr wichtig. Sie will sich vergewissern, dass die USA nach wie vor auf der Seite Israels stehen. Seit mehreren Jahren gerät Israel in die Isolation, vor allem wegen der Siedlungspolitik, welche als grösstes Hindernis für eine Lösung des Nahostkonflikts gilt. Mit dieser Stimmung lebt man ungern in Israel.
Wie wichtig ist das Thema Iran?
Das ist der gemeinsame Nenner. Iran gilt als der Feind beider Länder. Beide wollen einen atomaren Iran verhindern. Die Israelis wollen lieber militärisch gegen das iranische Atomprogramm vorgehen, weil sie diesen Weg für effektiv halten. Die Amerikaner dagegen würden sich nur ungern auf ein weiteres Schlachtfeld im Mittleren Osten begeben. Sie haben ja schlechte Erfahrungen in Afghanistan und Irak gemacht.
Könnte der Besuch Obamas dem Friedensprozess neuen Schwung verleihen?
Obama zeigt seinen guten Willen und er würde den Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern sehr gern wieder im Gang setzen. Doch wirkliche Erfolge diesbezüglich sind eher unwahrscheinlich. Es ist ganz einfach: Das, was Obama erzielen will, kann ihm Netanjahu nicht liefern. Das kann im Übrigen kaum eine Regierung in Jerusalem. Denn für ein nennenswertes Fortschreiten in Sachen Friedensprozess ist ein Paradigmenwechsel der israelischen Politik vonnöten.
Es müsste ein neues Denken hinsichtlich des Staatsverständnisses herrschen. Seit Jahrzehnten verfolgt das zionistische Israel eine Staatsräson, wonach das Land Israel, sprich «Eretz Israel» (Grossisrael), als Land des jüdischen Volkes gilt, das es wiederum nach dem zionistischen Verständnis zu «judaisieren» gilt. Das nennt man u.a. unter Siedlungspolitik. Deshalb darf man auf Teile des Landes nicht verzichten, auch wenn sie von Palästinensern bevölkert sind.
Obama hat wiederholt die Zwei-Staaten-Lösung ins Spiel gebracht. Ist das noch eine Option?
Für Obama wäre das eine gerechte Lösung für beide Seiten. Für Netanjahu ist das kein Thema, und es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Paradigmenwechsel stattfindet. Die führenden politischen Köpfe sind allesamt Unterstützer der historisch gewachsenen politischen Ordnung, die uns heute bekannt ist. Auch Politiker der Mitte, wie beispielsweise Yair Lapid, nun Finanzminister, spricht sich nicht gegen die Siedlungspolitik aus. Auch er begreift Israel als einen jüdischen Staat im Sinne des in Israel historisch umgesetzten Zionismus.
Warum hat sich Israel über Obamas Präferenz für die Zwei-Staaten-Lösung so empört? Der Plan wird bereits seit Bill Clinton verfolgt.
Weil sie für das zionistische Israel ein Dorn im Augen ist. Die Lösung spielte schon im Osloer Friedensvertrag eine Rolle. Israel hat dieses Ziel aber nie wirklich verfolgt. Nach aussen hin musste man Bereitschaft für politische Lösungen zeigen. Die erste Intifada (1987-1992) musste ja politische Folgen haben. Aber in Wirklichkeit konnte Israel einen Palästinenserstaat in den besetzten Gebieten nicht entstehen lassen, weil ein solcher Israels Staatsverständnis zuwiderlaufen würde. Die Fähigkeit, dieses Verständnis zu revidieren, ist nicht vorhanden. Schon gar nicht unter der neuen Regierung.
Warum gerade nicht unter der neuen Regierung?
Teile der jetzigen Regierung, Politiker der Siedlerpartei, leben schliesslich in den besetzten Gebieten, halten sie aber keineswegs für «besetzt», sondern ausschliesslich als «Eretz Israel». Es gab Regierungen, wie etwa in den 1990er Jahren unter Itzhak Rabin und Shimon Peres, die Friedensbereitschaft signalisierten und man kann davon ausgehen, dass sie es wirklich wollten. Aber gleichzeitig, vor allem im Zuge des palästinensischen Terrors von Hamas und später auch durch Fatah, verfestigte sich schon sehr bald das Bild eines fehlenden Partners. Die Palästinenser seien nicht in der Lage, den Frieden zu schliessen. Dieses Bild vom palästinensischen Feind bildet bis heute die Grundlage für die Resignation. An den Frieden glaubt niemand mehr in Israel. Das ist ein Paradox, dass man einerseits das Land besiedelt, die Schuld am Konflikt aber anderen gibt.
Könnte Zipi Livni in Verhandlungen mit den Palästinensern Fortschritte im Friedensprozess erreichen?
Die Vorsitzende der neuen Partei der Mitte (Hatnua) darf als Vertreterin der Regierung mit den Palästinensern verhandeln, solange keine für Israel gefährliche Lösung droht. Paradoxerweise steckt in den Verhandlungen eine Art Legitimation für einen weiteren Siedlungsbau. Israel sieht mit seiner quasi Bereitschaft zu Frieden seine Pflicht als erfüllt an. Doch Bereitschaft alleine reicht bekanntlich nicht aus. Die Siedlerbewegung unter Naftali Bennett ist stärker geworden, an der Regierung beteiligt und erfreut sich ideologischer Unterstützung anderer Parteien.
Mit welchen Gefühlen verfolgt die israelische Bevölkerung den Nahostkonflikt?
Besorgt um die Zukunft aber gleichzeitig resigniert. Die Mehrheit der Israelis hat den Konflikt aus der politischen Tagesordnung längst gelöst. Sie haben den Glauben an den Frieden verloren. Damit lässt sich erklären, weshalb die Siedlungspolitik und der Friedensprozess kaum ein Thema bei der Regierungsbildung am Montag war. Es herrscht Pessimismus und Resignation bei beiden Kontrahenten des Konflikts.
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Bild 1 von 9. September 1993: In Washington unterzeichnen PLO-Chef Jassir Arafat und Israels Ministerpräsident Jitzchak Rabin unter Vermittlung von Bill Clinton das Oslo-Abkommen. Die PLO streicht aus ihrer Charta alle Passagen, die die Vernichtung Israels als Ziel enthalten. Arafat und Rabin erhalten dafür zusammen mit Shimon Peres den Friedensnobelpreis. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 9. Oktober 1994: Unter Clintons Vermittlung unterzeichnen Rabin und König Hussein von Jordanien in Washington einen Friedensvertrag. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 9. September 1995: In Ägypten wird das Abkommen «Oslo II» unterschrieben, das den Palästinensern die Autonomie über etwa einen Drittel des Westjordanlandes zuspricht. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 9. Oktober 1998: In Wye bei Washington wird ein Abkommen über den Abzug der Israelis aus weiteren palästinensischen Gebieten geschlossen. Im Dezember reist Clinton als erster amtierender US-Präsident zu Gesprächen in die palästinensischen Gebiete. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 9. Juli 2000: In Camp David scheitert der Nahost-Gipfel mit dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak und Arafat. Clinton kann den Streit über den künftigen Status von Jerusalem nicht schlichten. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 9. Juni 2003: Auf Druck von Präsident George W. Bush bekräftigen Israel und die Palästinenser im jordanischen Akaba ihr Bekenntnis zum Nahost-Friedensplan («Road Map»), der ein Ende der Gewalt und einen unabhängigen Palästinenserstaat vorsieht. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 9. November 2007: Bush lädt den israelischen Regierungschef Ehud Olmert und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas nach Annapolis (Maryland) ein. Vereinbart werden direkte Friedensgespräche, die innerhalb eines Jahres eine Zwei-Staaten-Lösung herbeiführen sollen. Die Initiative scheitert wenig später. Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 9. Mai 2009: Beim Antrittsbesuch von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei Barack Obama in Washington fordert der US-Präsident Israel zum Siedlungsstopp auf. Im November verlässt Netanjahu Obamas Amtssitz durch die Hintertür. Im März 2010 dürfen die Fotografen anders als sonst nicht den Händedruck der beiden Politiker ablichten. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 9. Mai 2011: In seiner Grundsatzrede an der Universität in Kairo schlägt Obama vor, die Friedensgespräche zwischen Israel und den Palästinensern auf Basis der Grenzen vor dem Sechstagekrieg 1967 zu beginnen. Bildquelle: Keystone.