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EU-Kommissionspräsident Juncker, der Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk und Eurogruppen-Vorsitzender Jeroen Dijsselbloem bei einer Pressekonferenz in Brüssel.
Legende: Waren zuletzt Gastgeber vieler Treffen und Sondergipfel: Die Verantwortlichen der EU-Institutionen in Brüssel. Keystone

International «Auch Deutschland musste Kompromisse eingehen»

Die Forderung des deutschen Finanzministers eines Grexit auf Zeit war in Brüssel ebenso chancenlos wie ein klassischer Schuldenschnitt zugunsten Griechenlands. Ein positives Omen für die Währungsunion? Frank Schimmelfennig, ETH-Professor für Europäische Politik, zieht Bilanz.

Nach langem Ringen haben sich die Euro-Finanzminister am Montag doch noch auf ein drittes Spar- und Hilfspaket geeinigt. Konnten die EU-Institutionen, das heisst die Euro-Gruppe und der Europäische Rat, erfolgreich zur Kompromissfindung im Sinne der Währungsunion beitragen? Oder zählen letztlich doch nur nationalstaatliche Interessen? Frank Schimmelfennig, ETH-Professor für Europäische Politik, gibt Auskunft.

Frank Schimmelfennig

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Schimmelfennig ist Professor für Europäische Politik im Zentrum für Vergleichende und Internationale Studien der ETH Zürich. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Theorie und Politik der europäischen Integration.

SRF News: Wie beurteilen Sie die Art und Weise, wie die Euro-Gruppe in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Rat den griechischen Schuldenstreit soweit meisterte?

Frank Schimmelfennig: Es waren sehr harte Verhandlungen. Doch haben es die Regierungs- und Staatschefs wieder einmal geschafft, eine Lösung zu finden, die das bestehende Integrationsniveau bewahrt. Einseitige Schritte – ob es nun die Entscheidung Tsipras war, aus den Verhandlungen auszusteigen und ein Referendum abzuhalten oder die Forderung des deutschen Finanzministers Schäubles eines Grexit auf Zeit – konnten sich nicht durchsetzen.

Oft hat man den Eindruck, dass trotz der Ämter und Verhandlungsgremien auf Ebene der Europäischen Union letztlich Deutschland die Agenda bestimmt. Wie dominant schätzen Sie die Rolle Deutschlands im griechischen Schuldenstreit ein?

Was die Wirtschafts- und Finanzkraft anbetrifft, ist Deutschland der mächtigste Staat in der Euro-Gruppe. Doch gilt es die Machtposition Deutschlands zu relativieren: Erstens hat zuletzt weitgehend die Syriza-Parteipolitik die politische Agenda bestimmt. Zweitens repräsentiert Deutschland zugleich eine Vielzahl von Staaten von Nord- und Osteuropa, welche alleine ihre Stimme auf EU-Ebene kaum geltend machen können. Drittens spielte Frankreich im Schuldenstreit eine wichtige Rolle als Vermittler. Die Forderung von Schäuble eines Grexit auf Zeit war schnell vom Tisch. Und auch die deutsche Forderung eines treuhandähnlichen Fonds für die Privatisierung war rasch abgeschwächt.

Deutschland geht oft mit Maximalforderungen in die Verhandlungen, muss sich letztlich aber ebenso oft auf Kompromisse einlassen. Als Führungsstaat ist Deutschland sehr exponiert. Sein Einfluss in der Euro-Gruppe kann aber nicht nur daran gemessen werden.

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Nicht nur in Griechenland, sondern auch in weiteren Euro-Staaten kommt es im Falle eines neuen Hilfspakets zu Parlamentsabstimmungen. Was, wenn schon nur eines dieser Parlamente ein weiteres Hilfspaket ablehnt?

Die entscheidende Abstimmung ist jene des griechischen Parlaments. Gibt es da ein Nein, ist alles wieder infrage gestellt. Doch davon ist nicht auszugehen. Tsipras wird im griechischen Parlament die Unterstützung einer Mehrheit erhalten, auch wenn es möglicherweise keine Syriza-Mehrheit ist.

Bei den anderen Euro-Staaten würden ein oder zwei Nein noch nicht das Aus bedeuten. Der Europäische Rettungsschirm (ESM) ist auf 85 Prozent Zustimmung der Euro-Staaten angewiesen, um das Hilfsprogramm in Angriff zu nehmen. Die Stimmen werden nach dem jeweiligen Finanzanteil der Staaten am ESM gewichtet.

Geht man davon aus, dass ein Grexit abgewendet und sich die Währungsunion wieder um ihre längerfristige Zukunft kümmern kann: Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Ich sehe eher ein fortdauerndes Dilemma: Es gibt die gemeinsame Währung aber keine gemeinsame Wirtschafts- Sozial- und Finanzpolitik. Letztere einzuführen wäre mit Souveränitätsübertragungen verbunden, welche in den Mitgliedsstaaten keine Zustimmung finden. Finanzhilfen sind daher immer mit harten Verhandlungen und Bedingungen verbunden.

Mit der Bankenunion und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus hat sich die Währungsunion nach der Finanzkrise gestärkt. Doch bleibt sie ohne eine gemeinsame Finanzpolitik ein instabiles Experiment. So ist auch nicht auszuschliessen, dass es im Rahmen einer weiteren Unterstützung für Griechenland zu erneuten Konflikten kommt.

Das Gespräch führte Emanuel Gyger.

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