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International Besuch im Sowjet-Disneyland

Ein Staatswappen mit Hammer und Sichel, eine eigene Währung, Lenin-Statuen und kein McDonalds: Ein Landstreifen wie eine Zeitreise. Transnistrien gehört offiziell zu Moldawien, hat sich aber beim Zerfall der UdSSR für unabhängig erklärt. Seither schmiegt es sich an den grossen Bruder Russland.

Auf dem Staatswappen prangen noch Hammer und Sichel. Das mag irritierend sein, ist aber ein deutliches Zeichen gegen Moldawien. Zu diesem gehört die de facto autonome Region Transnistrien völkerrechtlich. Denn in Moldawien sind diese Symbole – wie alle anderen kommunistischen oder sowjetischen Embleme – verboten. Das Gebiet entzieht sich konsequent der Kontrolle der moldawischen Hauptstadt Chisinau.

Dass die schmale Gegend östlich des Flusses Dnister von keinem anderen richtigen Staat der Welt anerkannt wird, stört die «abtrünnige Republik» kaum. Seit dem Ende der Sowjetunion pocht das Gebiet auf seine Unabhängigkeit – mit eigener Verwaltung, Regierung und Militär. Selbst die Währung ist die eigene. Doch der transnistrische Rubel wird ausserhalb des Landes nicht akzeptiert – und selbst innerhalb des Landes ist er schwer umzutauschen. So gilt seit Jahren als Parallelwährung der russische Rubel.

Russischer Rubel, russisches Gas

Das macht Sinn, denn zu den wichtigsten Handelspartnern gehören Russland und die Ukraine. Generell sind die Beziehungen in den Osten stark: Russisch rollt nicht nur der Rubel, sondern strömt auch das Gas. Der Landstreifen, der sich selbst «Pridnestrowien» nennt, bezieht es vom grossen Bruder – zu einem fast schon symbolischen Preis.

Seit dem transnistrischen Krieg, in dem sich der rebellische Kleinstaat von der Ex-Sowjetrepublik löste, hält Russland rund 1000 Soldaten stationiert. «Friedensstifter» werden sie von der ethnisch mehrheitlich russischen Bevölkerung genannt. Vor acht Jahren votierten 97 Prozent der Stimmbürger für Unabhängigkeit – und für eine Union mit Russland. Und vor einigen Wochen unterzeichnete das Gebiet eine Vereinbarung mit Russland über engere Zusammenarbeit im Finanzsektor – sowie im Medienbereich.

Lenin-Statue statt McDonalds

Transnistrien ist ein seltsamer «Staat». Manche Dinge passen nicht zusammen. Einerseits scheint der Kleinststaat in der sowjetischen Vergangenheit stecken geblieben zu sein: Auf den öffentlichen Plätzen wurden die Lenin-Statuen nicht abgerissen wie anderswo, sondern thronen über flanierenden Pärchen und spielenden Kindern. Panzerdenkmäler erinnern an den «Grossen Vaterländischen Krieg».

Es gibt keinen McDonalds, dafür umständliche Ein- und Ausreiseprozeduren und bestechliche Beamte. Die wenigen Touristen, die sich in diese Ecke der Welt verirren, dürfen keine militärischen, industriellen und verkehrstechnischen Anlagen fotografieren. Ausländische – als das gelten selbstverständlich auch moldawische – SIM-Karten funktionieren hier nicht, mobiles Internet ist selten.

Fussball und Mercedes-Benz

Doch generell scheint es Transnistrien besser zu gehen als dem restlichen Moldawien. Das mag an der seit der Sowjetzeit ansässigen Schwerindustrie liegen. Es gibt auch eine grosse Monopolfirma, mit Arbeitsplätzen und umstrittenen Beziehungen in die Politik: Sheriff. Ihr gehören Tankstellen, Supermärkte, Fernsehsender, Immobilien, eine Telekomfirma und die transnistrische Mercedes-Benz-Niederlassung. Auch die beliebte, ISO-zertifizierte Cognacfabrik Kvint und der bekannte Fussballverein der Hauptstadt, FC Sheriff Tiraspol, gehören dem Konglomerat ebenfalls an.

Schikanen für andere Religionen

Und doch: «Pridnestrowien» hat eine Verfassung und eine recht moderne noch dazu. Zumindest auf dem Papier: Viele der Formulierungen in Gesetzestexten entsprechen laut eines Menschenrechtsberichts des Europarates internationalen Standards. Unklar ist, wie diese in die Tat umgesetzt werden. Beispielsweise mussten moldawischsprachige Schulen schliessen, Russisch wird gefördert.

Zwar ist die Religionsfreiheit in der Verfassung verankert – doch religiöse Gruppierungen müssen zehn Jahre nach der Gründung warten, bis sie offen kommunizieren dürfen. Die Zeugen Jehovas, die Baptisten und die wenigen Muslime berichten immer wieder von Schikanen. Doch überraschenderweise gibt es für die kleine jüdische Minderheit sogar koschere Lebensmittel zu kaufen. Und ist die Mehrheit der Bevölkerung zwar christlich-orthodox, so bezeichnen sich viele als Atheisten: Ein Souvenir der antikirchlichen UdSSR-Politik.

Schwierige rechtliche Standards

Die rechtliche Lage ist zwiespältig. De facto wurde die Todesstrafe abgeschafft. Der Geheimdienst heisst immer noch KGB. Gefängniszellen sind teilweise ohne Tageslicht. Folter ist offiziell verboten, wird aber nicht näher definiert, was die Ahnung schwierig macht. UNO-Beobachter stellten fest, dass manche Standards zwar nicht eingehalten wurden.

Es sei aber zu spüren, dass sich die transnistrischen Behörden – wohl auch in der Hoffnung auf Anerkennung – bemühen, Missstände zu beheben. Die Medien werden von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OSZE als restriktiv bezeichnet – und doch existieren Privatmedien und Oppositionszeitungen.

Transnistrien bleibt ein seltsam anmutender «Staat». Teilweise wirkt die autonome Region wie ein abgeschottetes Kommunismus-Disneyland. Doch die Diskussion um Unabhängigkeit und Zugehörigkeit zeigt: Es ist im Kräftemessen zwischen Ost und West angekommen, im politischen Tauziehen des 21. Jahrhunderts.

In welche Richtung sich die Republik entwickelt, ist schwer zu sagen. Die moldawischen Wahlen hat sie boykottiert. Transnistrien hat ein eigenes Parlament. Es heisst noch immer «Oberster Sowjet».

(Sendebezug: SRF 4 News 1.12.2014, 10:30 Uhr)

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