Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich trotz stundenlanger Verhandlungen nicht auf ein Reformpaket für Grossbritannien einigen können. «Wir haben einige Fortschritte gemacht, aber eine Menge muss noch getan werden», sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am frühen Freitagmorgen in Brüssel. Die Beratungen sollten am Vormittag in grosser Runde fortgesetzt werden.
Am Donnerstagabend hatten sich die Fronten bei den Gesprächen zunehmen verhärtet. In der Folge setzte Tusk nach den Abendessen ein Treffen in kleiner Runde mit dem britischen Premier David Cameron und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an, wie EU-Diplomaten berichteten.
Zum Auftakt der Gespräche, die zur Verhinderung eines «Brexit» beitragen sollen, hatte Cameron zuvor noch einmal betont: «Wenn wir eine gute Vereinbarung bekommen, werde ich diesen Deal annehmen – aber ich werde keinen Deal annehmen, der unseren Bedürfnissen nicht entspricht.» Der britische Premier soll angeblich gar mit seiner Abreise gedroht haben, sollten keine «echten Fortschritte» erzielt werden.
«Notbremse» als Knacknuss
Als «Gipfel des ‹Alles oder Nichts›» hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk die Gespräche im Vorfeld bezeichnet. Die Verhandlungen würden «sehr schwierig und heikel» werden. EU-Kommissionspräsident Juncker hatte sich hingegen optimistisch gezeigt, dass es zu einer Einigung kommt.
Die grösste Knacknuss ist laut den Diplomaten nach wie vor die von London geforderte «Notbremse» für Sozialleistungen bei Ausländern aus EU-Staaten. Gemäss Vorschlag soll Grossbritannien bei einer Zuwanderung von Arbeitsmigranten «von aussergewöhnlichem Ausmass» Sozialleistungen wie Lohnaufbesserungen, Kindergeld und den Anspruch auf Sozialwohnungen für eine gewisse Zeit beschränken können.
Viel «Show» für Cameron
Die Ausgangslage schien also extrem schwierig zu sein. Für SRF-Korrespondent Sebastian Ramspeck ist das aber nicht die ganze Wahrheit. Er sprach mit einem EU-Botschafter, der die Vorverhandlungen mitgeführt hat. «Zuerst hat er mir mit ernster Miene gesagt, dass es ganz ernste Verhandlungen geben werde und er nicht wisse, ob sie zu einem guten Ende kämen.» Danach habe der Botschafter gelacht und seine Aussage relativiert.
Für Ramspeck ist damit klar, dass es bei den Verhandlungen um viel Show geht. «Man will David Cameron eine Bühne bieten.» So könne er zeigen, dass die Verhandlungen hart waren und er etwas für Grossbritannien herausgeholt habe und die Briten darum für den Verbleib in der EU stimmen sollen.
Dabei gehe es auch um Camerons politische Zukunft, ergänzt SRF-Korrespondent Urs Gredig aus London. Nur wenn er durch Zugeständnisse der EU in allen Bereichen seinen Wählern zeigen könne, wie ein Löwe für ihre Interessen gekämpft zu haben, könne er zuhause glaubhaft für einen Verbleib in der EU einstehen.