Dass die Beschlüsse des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas einen radikalen Reformschub auslösen, glaubt Professor Mao Yushi nicht. Der liberale Ökonom hat in den 1990er-Jahren Chinas ersten privaten Thinktank zur Wirtschaftspolitik gegründet. Der heute 84-Jährige gilt als angesehenster regierungsunabhängier Ökonom Chinas.
Ohne Krise keine Reformen möglich?
Die von der Parteispitze angekündigten Reformen seien keinesfalls von der gleichen Tragweite wie die vor 35 Jahren, sagt Mao. Damals hatte Deng Xiaoping die Epoche der Reform und Öffnung eingeleitet. Mao Yushi stuft die angekündigten Neuerungen als «bloss kosmetische Wirtschaftsreformen» ein.
Der neue Parteichef Xi Jinping und der Regierungschef Li Keqiang hätten ihre parteiinterne Macht noch nicht genügend festigen können. Und ohne eine handfeste Wirtschaftskrise seien in China sowieso keine radikalen Reformen möglich, das sei schon früher so gewesen, fährt Mao fort.
Die Volksrepublik habe zwei grosse Wirtschaftskrisen durchgemacht: Die erste nach der Kulturrevolution, als das Land kurz vor dem Kollaps stand. Nur deshalb habe Deng Xiaoping seine Reformen in der Parteispitze durchboxen können. Den zweiten Reformschub gab es nach dem Tiananmen-Massaker und dem darauffolgenden wirtschaftlichen Stillstand.
Warten auf das Platzen der Immobilienblase
Mao Yushi ist überzeugt, dass China gegenwärtig direkt auf eine neue heftige Krise zusteuert – gerade weil jetzt angekündigten Reformschritte Flickwerk bleiben würden.
Bald schon werde die Immobilienblase platzen, die sich in den letzten Jahren aufgebläht habe. Das werde Krisen in verschiedensten Sektoren auslösen und schliesslich in eine ausgewachsene Finanzkrise münden. So zynisch das klinge, vielleicht seien dann endlich die nötigen Reformen möglich, gibt Mao zu bedenken.
Viele Gruppen verfügen über viel Macht
Allerdings: Das Team von Xi Jinping und Li Keqiang werde es mit ihren Reformversuchen trotzdem viel schwieriger haben als damals Deng Xiaoping, ist Mao Yushi überzeugt. Denn seit damals hätten sich in China mächtige Interessengruppen gebildet – etwa bei Staatsbetrieben mit Quasi-Monopolen wie im Energie- und Erdölsektor oder bei den Staatsbanken.
Und auch die Nachkommen der kommunistischen Gründergeneration beugten sich nur widerwillig dem Diktat der Partei. All diese Gruppen verfügten über Macht und Geld und stemmten sich gegen alles, was ihre Privilegien gefährden könnte.