SRF: Oliver Washington, was ist eigentlich los in Brüssel?
Oliver Washington: Wir haben ein Parlament, das die Aufgabe sehr ernst nimmt, die designierten Kommissare auf Herz und Nieren zu prüfen. Ess muss nun aber aufpassen, dass das Ganze nicht aus dem Ruder läuft.
Wie meinen Sie das?
Das Parlament muss aufpassen, dass es sich nicht paralysiert und am Ende vor einem Scherbenhaufen steht. Die Ausschüsse des Parlaments überprüfen die Kandidaten auf Grund verschiedener Kriterien. Die persönliche Integrität, die Glaubwürdigkeit, das Bekenntnis zu Europa, die Unabhängigkeit und natürlich auch die fachliche Kompetenz.
Der Brite Hill steht in der Kritik, weil sein Auftritt inhaltlich nicht überzeugte. Der Spanier steht in der Kritik, weil Zweifel an seiner Unabhängigkeit aufgekommen sind. Er soll ja neuer Kommissar für Energie und Klima werden. Nur ist seine Familie im Erdölbusiness tätig. Das wirft natürlich Fragen auf.
Und was ist denn das Problem mit Moscovisci?
Er sei als früherer französischer Finanzminister – also als Vertreter eines Landes mit grossen Schulden – unglaubwürdig, wenn er die Mitgliedsländer nun zu Budgetdisziplin zwingen müsse.
In Brüssel heisst es, wenn am Schluss ein bürgerlicher oder konservativer Kandidat über die Klinge springen muss, in dem Fall Hill oder Cañete, dann muss es auch einen Linken treffen. Und das wäre dann der Moscovici. Insofern ist das die Retourkutsche, um das Machtgleichgewicht zwischen den Blöcken wieder herzustellen. Da stehen wir jetzt. Wenn am Schluss tatsächlich zwei ausgewechselt werden, wäre das eine herbe Schlappe für den Präsidenten Juncker.
Gibt es denn einen Ausweg aus dieser Situation?
Hill muss ja nochmals zu einer Anhörung antraben. Ich habe gehört, dass man ihm diesen zweiten Auftritt etwas erleichtern möchte, indem er die Fragen, die ihm dann gestellt werden, bereits vorgängig schriftlich erhält. Das Ziel ist, dass er sich rehabilitieren kann. Dies sollte dann etwas Luft aus dieser angespannten Situation rausnehmen.
Was sagt das, was in Brüssel derzeit passiert, eigentlich über den Chef der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, aus? Die Truppe wird ja regelrecht zerpflückt von den Abgeordneten...
Es besagt zum einen, dass Juncker mit seinen Kandidaten ein hohes Risiko eingegangen ist. Dieses Zerpflücken ist auch nicht im Interesse des Parlaments. Denn Juncker wurde ja Präsident dank dem Parlament: Dieses hatte ihn gegen die Regierungschefs durchgedrückt. Deshalb kann das Parlament kein Interesse daran haben, den eigenen Präsidenten auch gleich wieder zu schwächen.
Heisst das, letztlich bleibt alles beim Alten und Junckers Auserwählte kommen alle durch?
Das ist schwierig zu sagen, weil solche Prozesse auch eine Eigendynamik entwickeln können. Aber ich gehe davon aus, dass hinter den Kulissen das Bestreben gross ist, am Schluss zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, welche für Juncker und die Parteien akzeptabel ist. Das würde eben bedeuten, dass möglichst wenig geändert würde, weil man sonst sogleich in Teufels Küche landet.
Das Gespräch führte Simon Leu.