Zum Inhalt springen
Studentinnen vor dem Eingang zur Universität von Damaskus.
Legende: Vor den Toren der Universität von Damaskus herrscht ganz normaler Alltag – zumindest auf den ersten Blick. SRF/Philipp Scholkmann

International Der Campus von Damaskus: Das ganz normale Leben am Abgrund

Rund um die Hauptstadt tobt der Bürgerkrieg. An der Universität von Damaskus geht der Lehrbetrieb trotzdem weiter. Die Studenten hoffen auf ein bisschen Zukunft, doch ihr Glaube schwindet.

Vor dem grossen Universitätstor regelt ein Polizist den Verkehr, der kleine Kiosk mit den Süssigkeiten ist geöffnet. Trotz Krieg ist alles normal an der Universität von Damaskus. Zumindest auf den ersten Blick. Hafiz al-Assad, der syrische Langzeitherrscher und Vater von Bashar al-Assad, wacht noch immer über den Campus.

Seine Statue steht an der ersten Weggabelung des weitläufigen Geländes im Westen der Stadt. Über vierzig Jahre lebt Syrien nun unter dem autoritären Regime der Assads und deren Sicherheitsapparat. Die letzten fünf Jahre davon im Krieg.

Philipp Scholkmann

Box aufklappen Box zuklappen
Portrait von Philipp Scholkmann

Scholkmann ist Nahost-Korrespondent bei SRF. Er hat in Basel und Paris Geschichte und Philosophie studiert. Vor seiner Tätigkeit im Nahen Osten war er Korrespondent in Paris und Moderator bei «Echo der Zeit».

Zwischen den Fronten

In manchen Provinzstädten Syriens ist der Lehrbetrieb schwer gestört, es fehlen die Lehrer, oder die Mittel, um noch ernsthaft Unterricht abzuhalten. Hier in Damaskus aber wird noch ordentlich unterrichtet. Doch die Perspektiven sind ungewiss, auch für den Wirtschaftsstudenten Pierre. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Preise sind explodiert, die Eltern des Erstsemestrigen kommen kaum noch über die Runden.

Die Professoren seien zwar hier, aber es fehle vielen Studierenden die Energie, um noch seriös zu lernen. Oder sie fehlten ganz, sagt Nassim: «Manche stecken fest hinter Frontlinien. Andere sind im Ausland. Ich habe auch schon mit dem Gedanken gespielt, Syrien zu verlassen.» Nassim studiert Literatur, stammt aus dem Nordosten von Syrien, aus Qamishli. Dort sei alles noch dreimal schwieriger als hier in Damaskus.

Die Angst vor der Rekrutierung

Neunzig Prozent der Jungen in Qamishli träumten von Europa oder seien schon dort, so Nassim: «Sie hoffen auf Sicherheit, bessere Perspektiven. Oder sie wollen dem Kampf entgehen», sagt der 23-Jährige, der in Damaskus in einem Studentenheim lebt. Eine kurdische Miliz kontrolliert das mehrheitlich kurdisch bewohnte Gebiet im Norden, wo Nassim herkommt.

Zwei junge Frauen mit Buch vor einer Moschee in Damaskus.
Legende: Im Auge des Sturms: Das Zentrum von Damaskus blieb bislang von den schlimmsten Kriegswirren verschont. Reuters

Die dortigen Jungen würden zum Kriegsdienst zwangsverpflichtet: «‹Sollen andere Mütter um ihre Söhne weinen›, sagen sich viele und verweigern die Rekrutierung», sagt Nassim. Er sieht die Miliz kritisch. Sie will möglichst grosse Autonomie für Kurden in einem möglichst grossen Teil des syrischen Nordens. Nassim aber ist nicht Kurde, sondern Araber aus dem Norden. Er möchte nicht unter kurdischer Verwaltung leben, sondern in einem Syrien für alle.

Aus regierungskontrolliertem Gebiet verlassen Junge das Land auch, weil sie Assads Armee entgehen wollen. Das aber sagt an der Universität von Damaskus niemand offen. Man hört es von Flüchtlingen in den Nachbarländern.

Flucht vor den Dschihadisten

Die Medizinstudentin Malak kommt aus Deir ez-Zor, ganz im Osten, nahe der Grenze zum Irak. Sie ist mit ihren Eltern nach Damaskus geflohen. Die Situation in Deir ez-Zor sei dramatisch, sagt Malak: «Es fehlt das Essen, der Strom, es fehlt an allem.»

Die Stadt am Euphrat ist umzingelt und belagert von Dschihadisten des IS. Die UNO wirft Nahrungsmittel aus Flugzeugen ab und versucht so, die Belagerten mit dem Nötigsten zu versorgen. Doch das reiche nirgends hin, sagt Malak, und es versagt ihr die Stimme, wenn sie von ihrer Ohnmacht spricht, ihren Verwandten dort zu helfen.

Gleichgewicht des Schreckens

Schätzungsweise 100'000 Menschen harren in den Stadtteilen von Deir ez-Zor noch aus, die von der Regierung Assad gehalten werden. Hier um Damaskus sind es nicht Dschihadisten, sondern Assads Soldaten, die ihrerseits versuchen, Vorstädte unter Rebellenkontrolle auszuhungern. Mehrere hunderttausend Menschen sollen von den Blockaden des Regimes betroffen sein, schätzt die UNO.

Nur sporadisch sind Hilfskonvois möglich. Sie kommen nicht überall hin, trotz der Zivilisten, die mit den Rebellen dort festsitzen. Wie soll Syrien aus diesem Albtraum herausfinden? Die Genfer Syrien-Gespräche sind am toten Punkt. Ob und wie sie wiederbelebt werden könnten, ist völlig ungewiss.

Die Medizinstudentin Malak hofft nur noch auf Assads Armee und die russische Unterstützung, um die «Terroristen» zu besiegen, wie sie sagt. Pierre, der Wirtschaftsstudent, bleibt zurückhaltender. Die Lage in Syrien sei sehr verworren, sagt er nur.

Meistgelesene Artikel