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International «Der IS hat sich zum internationalen Terrornetzwerk entwickelt»

Wer sind die mutmasslichen Urheber der Terroranschläge von Paris? Präsident François Hollande zeigte rasch mit dem Finger auf den IS. Die Terroristen des sogenannten Islamischen Staates haben dies in einem Bekennerschreiben bestätigt. Ein Strategiewechsel, sagt ein Experte der ETH Zürich.

SRF News: Sie sind Spezialist für dschihadistischen Terror an der ETH Zürich. Was spricht aus ihrer Sicht dafür, dass der IS hinter den Angriffen in Paris steckt?

Prem Mahadevan

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Prem Mahadevan arbeitet als Forscher am Center for Security Studies der ETH Zurich (CSS). Dort studiert er geopolitische Trends und dschihadistischen Terrorismus in der indopazifischen Region. Zu seinem Spezialgebiet gehören weltweite Geheimdienstsysteme und innerstaatliche Konflikte.

Prem Mahadevan: Der «Islamische Staat» bedrohte Europa bereits seit letztem September. Und bereits seit Juli diesen Jahres gab es konkrete Drohungen gegen Frankreich. In einem Propaganda-Video hat der IS angekündigt, er würde die Strassen von Paris mit Leichen pflastern. Das zeigt, dass der gestrige Anschlag monatelang vorbereitet wurde. Wir sprechen von sehr methodischen und umfassenden Vorbereitungen.

Sie glauben also, es waren Schläferzellen, die nun in Paris aktiv wurden?

Ja. Analysten waren sich nicht einig, ob der IS tatsächlich Europa treffen wolle, oder ob es sich hierbei nur Propaganda handelte, die dafür kompensieren sollte, dass der IS seit letztem August, als die Koalition ihre Luftangriffe startete, Gebietsverluste erlitten hat.

Terroristen, die in einer westlichen Metropole an mehreren Orten gleichzeitig Menschen erschiessen: Ist dies eine neue Dimension von Terror?

Es handelt sich um einen Entwicklungsprozess. Der ähnlichste Terroranschlag passierte 2008 im indischen Mumbai. Dieser war gegen zwei Hotelkomplexe und ein beliebtes Restaurant gerichtet. Verglichen damit scheinen die angegriffenen Ziele in Paris aber bewusster ausgewählt worden zu sein. Trotzdem: Sie haben keine neue Dimension, sondern sie gehören zu einem Prozess, der 2008 seinen Anfang nahm. Dazu gehören auch die Anschläge auf Charlie Hebdo Anfang Jahr, auf das Einkaufszentrum Westgate Mall in Kenia oder auf die BP-Gasfelder in Algerien.

Es ist möglich, dass sich der IS und al Kaida in Europa auf der operationellen Ebene zusammengeschlossen haben.

Wie viel Koordination braucht es für diese Art von Guerilla-Terrorismus?

Es braucht viel Koordination, Planung und Logistik, um einen solchen Angriff auszuführen. Man muss das Gebiet auskundschaften und Orte identifizieren, die schlecht zu verteidigen sind, und an denen innert kürzester Zeit grösster Schaden angerichtet werden kann. Augenzeugen berichten, die Angreifer hätten kaltblütig und wie militärische Profis gehandelt. Das könnte bedeuten, dass es Europäer waren, die aus Syrien oder aus dem Irak nach Frankreich zurückgekommen sind, nachdem sie dort entsprechend trainiert haben. Hingegen scheint es weniger wahrscheinlich, dass Mitglieder des IS Europa infiltriert haben.

Die Organisation der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA war weitaus anspruchsvoller. Hier, so scheint es, machte eine Handvoll Terroristen Jagd auf Menschen…

Die Angriffe in Paris waren vergleichsweise einfach und billig. Sie haben ohne grossen Aufwand grossen Schaden angerichtet. Was aber neu ist, ist der Einsatz von Schiessgeräten. Bis vor kurzem haben Terroristen jeweils selbstgebastelte Bomben oder Sprengsätze eingesetzt. Aber seit 2008, seit dem Terroranschlag in Mumbai, haben Terroristen realisiert, dass Geiselnahmen oder Schiessereien, wie sich auch immer wieder an US-amerikanischen Schulen passieren, jeweils ein sehr grosses Medienecho und viel Empörung auslösen.

Audio
«Die Angriffe in Paris waren vergleichsweise einfach und billig»
aus Echo der Zeit vom 14.11.2015.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 32 Sekunden.

Wenn der IS hinter den Attacken steckt, wäre es die erste grosse, koordinierte Attacke der Terrororganisation in der westlichen Welt. Ist das ein Strategiewechsel?

Das ist es teilweise. Der IS hat realisiert, dass er nicht expandieren kann. Sein Feind waren immer die Schiiten im Iran. Aber jetzt scheint es, dass sich der IS zum einem internationalen Terrornetzwerk entwickelt hat. Vergleichbar mit al Kaida – aber noch tödlicher. Insofern ist es ein Strategiewechsel. Früher wollte der IS ein eigenes Volk und einen eigenen Staat im Irak. Aber dieser Angriff in Paris weist auf eine breitere, globalere Strategie hin und hat keinen eigentlichen Zusammenhang mit der Gründung eines eigenen Kalifates.

Dieser Angriff hat keinen eigentlichen Zusammenhang mit der Gründung eines eigenen Kalifates.

Sie würden aber trotzdem sagen, unabhängig von den Rückschlagen in Syrien und im Irak in den letzten Wochen, dass diese Terrorgruppe stärker ist denn je?

Ja, die Organisation ist stärker denn je. Und es ist schwierig zu verstehen, wieso das so ist. Es ist möglich, dass sich der «Islamische Staat» und al Kaida in Europa auf der operationellen Ebene zusammengeschlossen haben – zu einem gemeinsamen Netzwerk. Bislang unterstanden sie keiner zentralisierten Kontrolle. Die Anschläge in Paris weisen nun aber doch darauf hin, dass es eine gewisse Kontrolle gibt, die von ausserhalb Frankreichs kommt.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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