«Auch du, Brutus?», soll Julius Caesar, unversöhnt mit den Launen des Schicksals, dahin gehaucht haben. Es waren, so will es die Überlieferung, Caesars letzte Worte in den Iden des März. Brutus, sein engster Vertrauter, hatte sich am Meuchelmord an seinem Mentor beteiligt. Das Ziel der verschwörerischen Senatoren im Jahre 44 vor Christus: Den Aufstieg des Diktators zum Monarchen verhindern, und damit die Republik vor dem Untergang retten.
Gut 2000 Jahre später finden in Rom wieder historische Umwälzungen statt, schenkt man den Kommentatoren glauben. Doch statt von Mord ist diesmal von Selbstmord die Rede – einem kollektiven, vollführt durch die Senatoren selbst. Mit absoluter Mehrheit stimmten sie gestern ihrer eigenen Entmachtung zu; sogar einzelne Abweichler des politischen Rivalen, Berlusconis Forza Italia, unterstützten die Verfassungsreform.
Die ungeheuerlichen Vorgänge wurden von Premierminister Matteo Renzi initiiert. Der lakonisch-schicksalsschwere Ausruf «auch du, Matteo?» war von den Senatoren nicht zu vernehmen. Nur 16 Abgeordnete stimmten gegen die Reform.
Gleichgewicht der Handlungsunfähigkeit
2014 als «Verschrotter der alten Politik» angetreten, wie es SRF-Korrespondent Philipp Zahn formuliert, verschrien Kritiker den jugendlich auftretenden Premier lange als flügellahmen Grosssprecher. Jetzt sieht alles danach aus, als ob Renzi seine versprochene «Mutter aller Reformen» durchsetzen könnte: Der italienische Senat, die zweite Kammer des Parlaments, soll durch eine Verfassungsreform verkleinert und in ihren Kompetenzen beschränkt werden.
Italiens «vollkommenes Zweikammersystem», das praktisch dazu führte, dass die gleichberechtigten Vertretungen Gesetze jahrelang ohne sichtbare Fortschritte hin- und herschoben, soll dadurch effizienter gestaltet werden. Zudem soll parteitaktischen Manövern, Klientelismus und Erpressungsversuchen Einhalt geboten werden. Kurz: Die quasi im System verankerte Reformresistenz der italienischen Politik soll gelöst werden.
Mehr Macht für Renzi – und seine Nachfolger
Konkret soll der Senat von 315 auf 100 Mitglieder verkleinert werden, die vorderhand ihre Städte und Regionen repräsentieren. Ein System, vergleichbar mit dem Schweizer Ständerat? «Tatsächlich möchte man damit die föderale Komponente stärken», sagt Zahn. «Die Hoffnung ist, dass die neuen Parlamentarier im Interesse ihrer Städte und Regionen abstimmen.»
Doch schon werden Stimmen laut, die in der Entmachtung des Senats vor allem eine Selbstermächtigung Renzis sehen. Man müsse die Reform des Senats in Verbindung setzen mit der Wahlrechtsreform im Abgeordnetenhaus, erklärt Italien-Kenner Zahn. «Und da ist es wirklich so, dass die stärkste Partei mit dem neuen Bonussystem dort eine bequeme Mehrheit der Sitze haben wird.»
Eine schlankere, effizientere Politik?
Gespiegelt an den Regionen und Städten, wo Renzis Partito Democratico bereits das Sagen habe, hätte der Premier auch im neuen Senat eine komfortable Mehrheit – und damit in beiden Parlamentskammern. «Damit könnte er unbeschwert regieren und hätte nicht mehr das Problem, durch Misstrauensvoten gestürzt werden zu können.» Davon würde indes auch ein künftiger konservativer Ministierpräsident profitieren, bremst Zahn die Euphorie des linken Lagers.
Allein, das letzte Wort wird das Volk haben. Und der 40-jährige Premier wird seinen Reformgeist erneut aktivieren müssen. «Renzi wird alles daran setzen, dass die Volksabstimmung für ihn quasi eine plebiszitäre Wiederwahl sein wird.» Denn damit könnte der Florentiner, der nicht ins Amt gewählt wurde, die Scharte in seiner politischen Karriere ausmerzen.
«Deswegen braucht Renzi solche Abstimmungen, auch um zu realisieren, was er den Italienern schon seit Jahren verspricht», schliesst Zahn. Nämlich eine einfachere, effizientere und produktivere Politik – den Wandel also, für den Renzi nach eigener Auffassung steht.