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Obama und Kenyatta
Legende: Obamas Lehrstunde in Sachen Terrorabwehr: Kenias Präsident Kenyatta spitzt die Ohren. Reuters

International «Die Anti-Terror-Kampagne Kenias funktioniert nicht»

Wenn es nach dem Willen der islamistischen Terrormiliz Al-Shabaab geht, soll am Horn von Afrika ein «Gottesstaat» entstehen. Immer wieder überziehen die Extremisten Kenia mit blutigen Anschlägen. Eine Situation, der sich auch US-Präsident Barack Obama bei seinem Besuch im Land stellen muss.

Direkt auf das Massaker folgte die Kampfansage. «Die Strassen Kenias werden rot sein mit Blut», drohte die somalische Al-Shabaab-Miliz, nachdem sie 148 Menschen an einer Universität in Garissa niedergemetzelt hatte.

Die Bilder aufgereihter Leichen waren entsetzlich, die Prophezeiung der Islamisten furchteinflössend: «Ihr werdet nirgends sicher sein, nicht in euren Schulen, Universitäten oder Arbeitsstellen.»

Obama: «Das Problem ist nicht gelöst»

Heute, drei Monate später, muss US-Präsident Barack Obama seinem kenianischen Kollegen beim Anti-Terror-Kampf auf den Zahn fühlen. Unternimmt Präsident Uhuru Kenyatta die richtigen Schritte, um Terroristen dingfest zu machen, Anschlagspläne zu verhindern und Drahtzieher zur Rechenschaft zu ziehen?

Die Gruppe sei zurückgedrängt worden, sagt Obama nach dem Treffen im State House. Doch: Sie könnten weiter Schaden anrichten. «Das Problem ist nicht gelöst.»

«Kenias Anti-Terror-Kampagne funktioniert nicht»

Bislang scheint die Anti-Terror-Strategie vor allem Unschuldige zu treffen. Ungeklärte Tötungen, kollektive Bestrafungen ganzer Gemeinden sowie Durchsuchungen tausender gewöhnlicher Bürger – meist somalischer Herkunft – sind Alltag. Berichte über Terroranschläge werden unterdrückt.

Und bei Nichtregierungsorganisationen, die irgendwie verdächtigt werden, zu radikalisieren oder der Regierung das Wasser abzugraben, wird hart durchgegriffen oder einfach der Spenden-Geldhahn zugedreht. «Kenias Anti-Terror-Kampagne funktioniert nicht», sagt der ehemalige US-Botschafter in Kenia, Mark Bellamy.

Korruption und schlechte Führung

Nicht die Ausstattung der Kenianer oder die Zahl ihrer Verbündeten sind das Problem, sondern Korruption unter Sicherheitskräften, schlechte Führung, mangelnde Absprachen der Behörden und die falsche Doktrin im Kampf gegen Al-Shabaab. Mit dem umstrittenen Vorgehen gegen Unschuldige vertieft sich der Graben zwischen Gemeinden und Sicherheitskräften, mit denen diese dringend kooperieren müssten, nur weiter.

Und die Zahl der Überläufer zu den Extremisten steigt. Das weiss auch Obama. Wer Gemeinden mit «zu grobem Pinselstrich» zeichne, vergrössere den Pool potenzieller Terror-Rekruten, sagt er in Richtung Kenyatta. Der gibt sich unbedarft: «So etwas haben wir noch nicht erlebt. Das Problem des Terrorismus ist neu für uns. Wir lernen mit jedem Schritt.» Und dann: «Wir als Land sind bereit, zu lernen.»

Kenyatta weiss, dass etwas schiefläuft

Nach all der Kritik an teils schweren Verstössen gegen Menschenrechte gibt selbst Kenyatta zu, dass etwas schiefläuft. Aber reicht das? Von einer «Terror-Brutstätte», wie CNN das 45 Millionen Einwohner zählende Land kürzlich bezeichnete, ist Kenia noch ein gutes Stück entfernt – weshalb der TV-Sender reichlich Spott erntete, am Samstag sogar von Kenyatta selbst.

Doch die blutige Attacke in Garissa, der Überfall auf das Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi mit 67 Toten und der Anschlag nahe der Urlaubsinsel Lamu mit fast 50 Toten haben auf tragische Weise offengelegt, dass Kenias Strategie in Sachen Terror noch einer offenen Baustelle gleicht.

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Umsatzzahlen beeindrucken Terroristen nicht

Zumindest symbolisch wollte Kenyatta den «herzzerbrechenden Akt krimineller Brutalität» in Westgate nun überwunden wissen: Vor einer Woche öffnete die Mall wieder, sagte der Präsident stolz. Ein Vorzeige-Geschäft habe am Tag der Wiedereröffnung sogar mehr Verkäufe verzeichnet als an jedem anderen Tag in der acht Jahre langen Geschichte des Einkaufszentrums.

Doch weniger brutal werden die Angriffe der Miliz, die Nicht-Muslime mit Kopfschüssen niederstreckt oder enthauptet, durch die Umsatzzahlen nicht. Für einen ostafrikanischen Rundumschlag gegen Al-Shabaab wird das Zusammenspiel mit Kenia nicht ausreichen.

«Diese Bedrohung bleibt eine ernsthafte»

Die USA unterstützen daher auch Kräfte der Afrikanischen Union in Somalia und arbeiten eng mit Uganda sowie mit Äthiopien zusammen, wo Obama am Montag und Dienstag Station macht. «Diese Bedrohung bleibt eine ernsthafte», sagt Obamas mitreisende Sicherheitsberaterin Susan Rice. Längst haben Al-Kaida-Zellen in Ostafrika Fuss gefasst, die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) könnte sich dort ebenfalls festsetzen.

Al-Shabaab, so viel steht fest, will einen «Gottesstaat» errichten, ganz nach dem irakisch-syrischen Vorbild der Terrormiliz Islamischer Staat. Ähnlich wie den IS-Krieg wird der in anderthalb Jahren aus dem Amt scheidende Obama auch diesen Kampf an seinen Nachfolger übergeben müssen.

Wenn eine Regierung sich angewöhnt, Menschen unterschiedlich zu behandeln, können diese Angewohnheiten sich verbreiten
Autor: Barack Obama US-Präsident

Die Kritik von Menschenrechtlern an Kenyattas Regierung dürfte anhalten. Und auch Obama kann sich einen deutlichen Seitenhieb mit Blick auf die Verfolgung von Schwulen und Lesben nicht verkneifen. «Wenn eine Regierung sich angewöhnt, Menschen unterschiedlich zu behandeln, können diese Angewohnheiten sich verbreiten», warnt Obama.

Ob Kenyatta diese Frage auch beantworten werde, hakt ein Reporter nach. «Ja, ich werde sie beantworten», sagt Kenyatta und holt tief Luft. Die Rechte Homosexueller seien einfach kein Thema, sagt er. «Das ist ein Fakt.» Viele Kenianer im Publikum reagieren auf diesen Satz prompt: Sie grinsen, nicken und klatschen.

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