Zum Inhalt springen
Flüchtlingsjunge hält Schild hoch
Legende: «Nicht in die Camps von Erdogan»: Flüchtlingsjunge protestiert in Griechenland. Keystone

International «Die Flüchtlinge werden ganz sicher nicht freiwillig gehen»

Auf den griechischen Inseln Chios und Lesbos herrscht Panik unter den Flüchtlingen. Der Grund: Ab Montag beginnen die Rückführungen abgewiesener Asylsuchender in die Türkei. Die Herausforderung der Behörden wird sein, dabei möglichst keine Gewalt anzuwenden, sagt Journalistin Corinna Jessen.

SRF News: Am Montag sollen die Ausschaffungen von Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei beginnen. Das ist eine Mammutaufgabe. Werden die griechischen Behörden dies meistern?

Corinna Jessen: Sie stehen wirklich vor einer Mammutaufgabe. Die zuständigen Behörden, wie die Hafenpolizei und die reguläre Polizei, haben bereits gesagt, dass sie gar nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Geplant ist folgendes: Von Montag bis Mittwoch sollen die ersten 750 Migranten von der Insel Lesbos ins türkische Dikili gebracht werden. Dazu werden türkische Ausflugsschiffe gechartert. Und jedem einzelnen Flüchtling wird ein Beamter zur Seite gestellt.

Corinna Jessen

Box aufklappen Box zuklappen
Corinna Jessen bei TV-Schaltung nach Athen mit Mikrofon.

Corinna Jessen ist freie Journalistin in Athen, Korrespondentin für mehrere deutschsprachige Tageszeitungen und Mitarbeiterin des ZDF. Sie ist in Athen geboren und aufgewachsen. Studiert hat sie in Deutschland.

Die grösste Herausforderung für die Polizei wird sein, möglichst wenig Gewalt anzuwenden. Bisher war die politische Direktive, es solle überhaupt keine Gewalt geben. Inzwischen hat man das etwas relativiert. Die Ereignisse der letzten Tage haben aber gezeigt, dass die Menschen ganz sicher nicht freiwillig gehen werden. Sie haben so viel Geld an Schlepper bezahlt und ihr Leben riskiert, um in die EU zu kommen. Da kann man nicht erwarten, dass sie freiwillig auf ein Schiff spazieren, das sie wieder zurückbringt.

Wer wird denn zuerst ausgeschafft?

Die eigentliche Mammutaufgabe besteht ja darin, die versprochenen Einzelfallprüfungen durchzuführen. Bei jedem Flüchtling muss also geprüft werden, ob er in der Türkei tatsächlich sicher ist und deshalb kein Anrecht auf Asyl in Griechenland hat. Das sind natürlich erst einmal Personen, die als Wirtschaftsflüchtlinge gekennzeichnet werden können – also Menschen aus Marokko, Pakistan oder Bangladesch.

Auf die Einzelprüfungen ist Griechenland aber gar nicht richtig vorbereitet. Dazu braucht es Beamte, Asylrichter, Übersetzer. Die EU und die Grenzschutzpolizei Frontex haben über 4000 Beamte zugesagt. Bisher sind aber nur 2000 in Griechenland eingetroffen.

Hat das griechische Parlament am Freitag dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei nur deshalb zugestimmt, weil es nicht anders konnte?

Der Druck war sehr gross. Man muss aber sehen: Das Parlament hat zwei Pakete verabschiedet. Mit dem einen ist die griechische Asyl- und Flüchtlingspolitik an die EU-Richtlinien angepasst worden, dagegen gab es kaum Kritik. Der zweite Teil betraf das Rückführungsabkommen mit der Türkei.

Problematisch waren da vor allem zwei Punkte: Einerseits soll auf den Inseln innerhalb von zwei Wochen entschieden werden, ob ein Flüchtling Anrecht auf Asyl in Griechenland hat. Das wird sicherlich zu eher oberflächlichen Prüfungen führen. Andererseits geht es um die Frage, ob die Türkei tatsächlich ein sicheres Drittland ist.

Die Türkei erhält von der EU drei Milliarden Euro dafür, dass sie die Flüchtlinge zurücknimmt. Welche Unterstützung bekommt Griechenland für die Abschiebung?

Die EU hat ihre Unterstützung zugesichert, vor allem mit dem zuvor genannten Personal – also Dolmetschern, Asylrichtern, Grenzbeamten. Auf den griechischen Inseln muss ein ganzer Mechanismus aufgebaut werden. Den will die EU mitfinanzieren. Bisher ist der Mechanismus aber keineswegs einsatzbereit. Es fehlt auf den Inseln nur schon an Unterkünften und Büros dafür.

Das Gespräch führte Isabelle Jacobi.

Meistgelesene Artikel