Schweden und Dänemark sind traditionell eng verbunden, allenfalls auf dem Eisfeld geraten sich die skandinavischen Bruderstaaten in die Haare. Für gewöhnlich mit besserem Ausgang für die «Tre Kronor» – die schwedische Eishockey-Nationalmannschaft. Ruppig wird es nun auch auf einem anderen Feld: der Realpolitik, konkret der Flüchtlingskrise.
Zyniker sehen einen Standortwettbewerb unter verkehrten Vorzeichen in Gang: Wer bietet Asylsuchenden weniger attraktive Aufnahmebedingungen? Erst kündigte Dänemark an, ankommenden Flüchtlingen Wertgegenstände abnehmen zu wollen. Das Ziel: Sofern finanzielle Mittel vorhanden sind, sollen Asylbewerber ihren Aufenthalt mitfinanzieren.
Nun wartet auch Schweden mit einem Instrument auf, um den Zustrom von Flüchtlingen einzudämmen: Ab dem 4. Januar will es an den Grenzen flächendeckende Ausweiskontrollen durchführen. Zum grossen Ärger von Dänemark: Denn an der Öresund-Brücke, die die beiden Länder über eine Meerenge verbindet, heisst es künftig Warten – nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für zahlreiche Grenzgänger und Reisende.
Wie zu Grossvaters Zeiten
«In den letzten fünfzehn Jahren hat sich hier ein integrierter Arbeitsmarkt entwickelt», sagt SRF-Korrespondent Bruno Kaufmann. «Viele Menschen leben auf der einen Seite des Öresund und arbeiten auf der anderen.» Nun drohe ein Zustand, an den sich fast niemand mehr erinnern könne: Denn Passkontrollen wurden zwischen den skandinavischen Ländern bereits 1952 abgeschafft.
Die Überfahrt nach Schweden, die normalerweise 30 Minuten dauert, könnte künftig ganze eineinhalb Stunden in Anspruch nehmen – Umsteigen und Fussmarsch inbegriffen. Die regionale Bahngesellschaft will Direktverbindungen zwischen Kopenhagen und Malmö aussetzen. Die staatlichen schwedischen Zugbetriebe sagten kurzerhand, dass sie den ganzen Verkehr nach Dänemark einstellen würden. Sie seien nicht in der Lage, die Identität aller Fahrgäste zu prüfen.
Von «radikalen Schritten» spricht SRF-Korrespondent Kaufmann; die neuesten Entwicklungen hätten dazu geführt, dass sich Schweden und Dänemark kaum mehr verstünden.
Mehr als ein Zugstreit
Doch für den Korrespondenten ist das aktuelle Zerwürfnis nur Symptom tieferliegender politischer Veränderungen – gerade in Schweden. Denn während Dänemark schon länger eine äusserst restriktive Asylpolitik verfolgt, drängt Schweden auf die rechte Überholspur in der Flüchtlingsfrage: «Es gibt ein enormes Aufschaukeln auf beiden Seiten. Man spielt mit Signalen, möchte immer ein bisschen weniger attraktiv sein als andere Länder», so Kaufmann.
Dänemark verfahre schon länger so, nun steige auch Schweden ein. Erstaunlich, denn kein anderes europäisches Land nimmt pro Kopf mehr Flüchtlinge auf. Allein im letzten Jahr wurden im Land fast 200‘000 Asylgesuche gestellt. Zum Vergleich: In Dänemark waren es dieses Jahr nur gerade 7000-10‘000 Asylgesuche.
Der schwedische Solidaritätspakt bröckelt
«Mit den Passkontrollen zieht Schweden jetzt eine Art Notbremse», sagt Kaufmann. Denn das schwedische Asylsystem sei mittlerweile komplett überfordert. Und auch die traditionell schwedische Willkommenskultur erhält erste Risse: «Der ausländerfeindliche Extremismus wächst. Allein in den letzten Wochen gab es Dutzende Brandanschläge auf Asylheime .»
Damit einher geht wachsender Zuspruch für die rechtspopulistischen Schwedendemokraten: «Es gibt eine immer stärkere Minderheit im Land, die das politische System und die Offenheit infrage stellt», stellt Kaufmann fest. Der tief in der schwedischen Gesellschaft verankerte Sozial- und Solidaritätspakt ist gefährdet.
Kaufmann beobachtet eine «Kehrtwende von historischem Ausmass»: «Schweden entwickelt sich von einem grosszügigen zu einem fast geizigen Sonderfall. Für die gesamte skandinavische Geschichte ist es etwas ganz Neues, dass man sich ans untere Ende der Fürsorge einreiht.»
So bleibt zu konstatieren: Die Verstimmung mit dem Nachbarn Dänemark ist nur eine politische Herausforderung, die Schweden bevorsteht. Wohl auch die kleinere. Denn, so Kaufmann: «Schweden muss (in der Flüchtlingsfrage) eine Lösung finden, die von breiten Teilen der Gesellschaft getragen wird.»