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International «Die Professionalität dieser Killer ist sehr gross»

Schon wieder ist in Tunesien mit Mohamed Brahmi ein Oppositionspolitiker ermordet worden. Die Empörung im Land ist riesig. Wie soll das weitergehen? Tunesien-Kenner Beat Stauffer zu SRF: «Die Perspektiven sind leider etwas düster.»

SRF: Sieht man im Moment schon einen klaren Grund dafür, warum ausgerechnet Brahmi umgebracht worden ist?

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Tunesien-Kenner Beat Stauffer.

Beat Stauffer: Mohamed Brahmi war einer der hartnäckigsten Gegner der Ennahda-Partei, wie der Mann, der vor sechs Monaten ermordet worden ist, Chokri Belaïd. Brahmi stand auch der Tamarod-Bewegung nahe. Diese forderte, dass die Übergangsregierung aufgelöst werden müsse, ihre Arbeit beenden müsse. Sie habe ihre Legitimität verloren. Aus dieser Sicht macht es Sinn, dass so ein Politiker ins Visier gerät.

Ein klarer Gegner der regierenden Ennahda-Partei. Der zweite politische Mord in sieben Monaten. Noch ist offiziell unklar, wer hinter diesem Mord steckt. Aber es gibt sicherlich Hypothesen, wer es gewesen sein könnte.

Es gibt drei Hypothesen:

  1. Die Milizen von Ennahda, die so genannten Revolutionsschutzliegen. Das sind häufig junge Leute aus ärmeren Quartieren. Sie sind von Ennahda eingesetzt worden, um gewisse Ziele zu erreichen.
  2. Eine vom Innenministerium neu geschaffene Einsatztruppe. Eine Art parallele Polizei. Sie soll versuchen, politische Gegner zu eliminieren.
  3. Kräfte des alten Regimes, die allenfalls versuchen könnten, den politischen Prozess in Tunesien zu stören und Ennahda zu diskreditieren.

Welche dieser drei Hypothesen erscheint Ihnen am plausibelsten?

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Die zweite Hypothese. Die Professionalität dieser Killer – man kann es nicht anders sagen – ist sehr gross. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das junge Leute sind, die so etwas zustande bringen. Dazu kommt, dass die Revolutionsschutzliegen seit einigen Monaten unter sehr starker Beobachtung stehen. Sie würden also vermutlich eher zurückschrecken vor einer solchen Tat.

Politisch wäre das ja ein unkluger Schritt der Regierung. Wäre es denn ein Zeichen, dass die Regierung nervös ist?

Die Regierung Ennahda ist auf jeden Fall sehr nervös, nach dem was in Ägypten geschehen ist. Sie verlieren ein bisschen die Nerven und versuchen jetzt mit allen Mitteln, ihre Machtposition zu behalten. Es ist in dem Sinn denkbar, dass Machtpolitiker innerhalb der Ennahda versuchen könnten, mit derart brutalen Methoden Gegner zu eliminieren.

Wenn wir Tunesien mit Ägypten vergleichen, kann man sagen, dass die Revolution bisher verhältnismässig friedlich verlaufen ist. Ausgenommen dieser beiden Morde. Besteht nun die Gefahr, dass sich das ändert? Könnte die Lage eskalieren?

Das Risiko ist tatsächlich hoch. Viele Beobachter gehen davon aus, dass Tunesien an einer Art Wendepunkt angelangt ist. Dass der Konsens, der bis jetzt immer noch möglich war in der verfassungsgebenden Versammlung – aber auch sonst auf dem politischen Parkett–, heute nicht mehr möglich ist.

Es gibt immer mehr Aufrufe auch von säkularen Kräften, jetzt auch Gewalt anzuwenden, wenn man selber Opfer von Gewalt werde. Der Umstand, dass das Verbrechen an Belaïd nicht aufgeklärt worden ist, trägt natürlich dazu bei. Die Perspektiven sind leider etwas düster für Tunesien.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovitsch.

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