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International «Die Ratlosigkeit der Behörden in Calais ist offensichtlich»

Das Flüchtlingslager in der Nähe der nordfranzösischen Stadt Calais ist in den letzten Wochen und Monaten aus den Schlagzeilen verschwunden. Aber noch immer leben dort tausende Flüchtlinge unter schlimmsten Bedingungen. Frankreich-Mitarbeiter Rudolf Balmer schildert die Situation im «Dschungel».

Der Dschungel von Calais

Rudolf Balmer

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Der Journalist Rudolf Balmer berichtet für deutschsprachige Medien aus Paris über französische Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Darunter auch für SRF.

SRF News: Wie ist die Lage im Lager von Calais?

Ruedi Balmer: Die Lebensbedingungen sind sehr prekär und für ein Land wie Frankreich völlig unwürdig. Das führt zu Spannungen im Lager, die sich manchmal in gewaltsamen Auseinandersetzungen entladen. Immer wieder gibt es dabei auch Verletzte. Gestritten wird um Wasser, um Mahlzeiten und um Platz für ein Zelt oder eine Hütte. Es hat schlicht nicht genug für all die Menschen dort.

Die Menschen stellen kleine Läden und Restaurants auf und versuchen sich so selber zu helfen. Die Behörden schliessen sie aber oder reissen sie ab. Welche Strategie steckt da dahinter?

Frankreich will um jeden Preis verhindern, dass Calais zu einem Anziehungspunkt für Migranten und Flüchtlinge aus aller Welt wird. Seit 15 Jahren verfolgt Frankreich dieses Ziel. Bis ins hinterste Dorf in Somalia oder Afghanistan sollen die Menschen wissen, dass es in Calais kein Durchkommen gibt und sie nicht willkommen sind. Doch diese Politik ist gescheitert, die Menschen kommen dennoch und wollen um jeden Preis nach Grossbritannien.

Bis ins hinterste Dorf in Somalia oder Afghanistan sollen die Menschen wissen, dass es in Calais kein Durchkommen gibt.

Die französischen Behörden haben also versagt?

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Die Behörden sprechen von 3000 bis 5000, Menschenrechtsorganisationen von 7000 Flüchtlingen, die unter prekären und teils gefährlichen Zuständen in Calais leben. Erst letzte Woche starb ein Äthiopier bei Auseinandersetzungen im Lager.

Die Ratlosigkeit der Behörden ist offensichtlich. Sie stecken in einem Dilemma: Es ist nicht zu verneinen, dass die Situation im Lager unhygienisch, menschenunwürdig und so nicht haltbar ist. Gleichzeitig machen fremdenfeindliche Bewegungen Druck.

Wie steht die Bevölkerung von Calais zum Lager?

Zu Beginn meiner Besuche in Calais vor ein paar Jahren spürte ich Solidarität, die lokale Bevölkerung versuchte so gut wie möglich diesen Menschen aus aller Welt zu helfen. Mit der Zeit stellte sich eine gewisse Gleichgültigkeit ein. Allen zu helfen war schlicht nicht möglich. Und heute spüre ich bei einem Teil der Bewohner eindeutig eine ablehnende Haltung. Die Situation ist für sie im Alltag unerträglich: Sie beklagen sich über Menschen, die bei ihnen im Garten übernachten und unerlaubt ihre Internetverbindung nutzen.

Calais war ein touristischer Anziehungspunkt, insbesondere für Gäste aus England.

Wie steht es um das Image der Stadt?

Dafür ist die ganze Flüchtlingstragödie abträglich. Calais war ein touristischer Anziehungspunkt, insbesondere für Gäste aus England. Heute hingegen ist die Stadt ein Synonym für Flüchtlingsmisere.

Das Gespräch führte Melanie Pfändler.

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