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International «Die Rechte instrumentalisiert Schwule für ihre Interessen»

In Frankreich protestieren die Bürger gegen die Homo-Ehe, in Polen verwarf das Parlament ein Partnerschaftsgesetz. Russland erwägt gar ein «Propagandaverbot» für Homosexualität. Wird es für die Homosexuellen enger? Experte Thomas Voelkin gibt Auskunft.

SRF News Online: In Frankreich, Polen und Russland machen sich politische Bewegungen gegen die Schwulen bemerkbar. Ist ein weltweiter Rückschlag gegen die Akzeptanz von Schwulen im Gange?

Zur Person

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Thomas Voelkin
Legende: srf

Thomas Voelkin ist Chefredaktor von Networknews, der Zeitschrift für schwule Führungskräfte. Er schreibt seit vielen Jahren über Homosexualität in der Politik, Kultur und Gesellschaft.

Thomas Voelkin, Chefredaktor Networknews: Wir beobachten Gesetzgebungen genau. Ich sehe international keine erstarkende Bewegung gegen die Schwulen. In Frankreich hat mich der Widerstand gegen die Homo-Ehe allerdings erstaunt. Die Gegenbewegung wurde vermutlich so stark, weil sich das Land in einer Identitätskrise befindet, es muss sich reformieren. In der Orientierungslosigkeit sucht man nach Sündenböcken, nach einfachen Antworten. Das gleiche gilt für Russland und Polen. In beiden Ländern hat sich die Gesellschaft in den letzten 20 Jahren stark verändert, weg vom Kommunismus, weg von der Kirche. Das verunsichert die Menschen. Sie wollen Orientierung in der komplizierten Welt, sie suchen nach Schuldigen, die schnell in einer Minderheit gefunden sind.

Sie sagen, dass weltweit nicht mehr Repression feststellbar ist. Auf Schweizer Schulhöfen beispielsweise hört man aber wieder öfter das Wort «schwul» als Schimpfwort.

Das stimmt, sich so zu beschimpfen, ist salonfähig geworden. Es kam in Mode, als viele Einwanderer aus dem Balkan in die Schweiz kamen. Sie brachten oft eher konservative Weltanschauungen mit.

Schüren zusätzlich konservative Parteien die Intoleranz gegenüber Schwulen?

Rechtskonservative Parteien bringen solche Diskussionen sicher vermehrt aufs Tapet. Sie instrumentalisieren die Schwulenfrage, um ihre Interessen durchzusetzen. Sie geben vor, vermeintlich einfache Antworten zu haben, halten althergebrachte Werte hoch. Unsichere Menschen kann man damit gut ködern.

Warum zeigen rechte Kreise gerade jetzt vermehrt auf Schwule?

Die rechten Kräfte sind international lauter, aggressiver geworden. Ich werte dies als ein Akt der Verzweiflung. Die Menschen glauben den Rezepten der Rechten nicht mehr. Die Konservativen haben jahrelang den neoliberalen Markt gepredigt. Und sie sagten: Wenn es den Reichen gut geht, dann geht es auch den Armen besser, weil sich der Reichtum nach unten weiterverteilt. Doch seit der Finanzkrise wissen wir: Das stimmt nicht. Jetzt suchen die Rechten nach neuen Strategien und zeigen beispielsweise mit dem Finger auf Schwule.

Stimmt das auch für die Schweiz?

Auch hierzulande wird die Adoption von Kindern durch homosexuelle Eltern sehr emotional diskutiert, angefeuert durch die Rechte. Aber die Schweiz war gegenüber den Schwulen immer sehr liberal eingestellt und hat international stets eine Vorreiterrolle übernommen. Das begann in den Nachkriegsjahren, als hier ein liberaler Geist wehte. Es entstanden Schwulen-Organisationen wie etwa «Der Kreis». Mit den Morden von zwei Homosexuellen durch Stricherjungen in den 1950er Jahren wendete sich das Blatt dann. Die polizeiliche Repression begann. Heute ist die Schweiz wieder liberal gegenüber Schwulen eingestellt.

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