Die Polizisten kommen im Morgengrauen. Unter Buhrufen drängen sie die Roma-Familien zum Aufbruch. Wenig später schon ist alles vorbei, die Siedlung unbewohnbar gemacht. Die Behörden setzen auf Strenge. Rund 20'000 Roma hat die französische Regierung im vergangenen Jahr in ihre Heimatländer Rumänien und Bulgarien zurückgeschafft.
Ein Fall warf jedoch hohe Wellen: Die Ausschaffung der 15-jährigen Leonora. Sie war auf einem Klassenausflug, als Polizisten das Mädchen unverhofft abholten. Die Beamten führten Leonarda vor den Augen ihrer Schulfreunde ab und flogen sie zusammen mit ihrer Familie nach Kosovo aus. Grund: Seit fünf Jahren illegal in Frankreich, sämtliche Asylanträge abgelehnt. Die aufgebrachten Menschen störten sich dennoch am fehlenden «Fingerspitzengefühl» der Behörden.
Frankreich – oder die Familie
Innerhalb der Sozialistischen Partei von Präsident François Hollande wuchs der Unmut über die Vorgehensweise der Regierung in Sachen Einwanderungspolitik. Seit Monaten weist die Linksregierung Tausende Roma aus – etwas diskreter zwar, aber noch in grösserem Umfang als unter dem konservativen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy. Verantwortlich für die Ausweisungen von Roma ist Innenminister Manuel Valls.
Der Fall Leonarda stellte die Regierung vor eine Zerreiseprobe. Hollande hatte die Wahl: die Familie zurückkehren lassen und Valls desavouieren – oder die Rechtmässigkeit der Abschiebung bestätigen und Teile der Partei gegen sich aufbringen. Der Präsident entschied sich für eine dritte Möglichkeit. Er erklärte: Leonarda – «und nur sie allein» – dürfe nach Frankreich zurückkehren. Die Familie aber müsse draussen bleiben. Das 15-jährige Mädchen lehnte ab. Ein Rekurs gegen die Ausschaffung der Familie wurde nicht gutgeheissen.
Behörden setzten auf Strenge
Die Ausschaffungen von Roma-Familien, wie jener von Leonarda, sind in Frankreich an der Tagesordnung. Wer nicht genug Geld hat, um für sein Leben aufzukommen, droht ausgeschafft zu werden.
Die Roma: Nirgendwo gern gesehen, nirgends wirklich integriert. Doch warum? SRF-Korrespondent Michael Gerber erklärt: «Die Roma sind im öffentlichen Leben gut sichtbar – einerseits durch ihre Camps, andererseits aber auch durch ihre Bettelaktionen in der Stadt. Die Leute stören sich daran.» Zudem käme es auch hin und wieder zu Diebstählen.
Massnahmen dienen der Symbolik
Die Roma seien aber im Prinzip kein wirklich grosses Problem in Frankreich, hält Gerber weiter fest. Viel eher seien sie zum politischen Spielball geworden.
Die rechte Partei Front National warnt schon lange vor der «Invasion» aus dem Osten, geht mit der Angst der Leute auf Stimmenfang. Umso mehr versucht nun auch die Sozialdemoratische Regierung den Franzosen das Gefühl zu geben, die Themen Einwanderung und innere Sicherheit selbst in der Hand zu haben, wie Gerber weiter ausführt. Mit solchen symbolischen Aktionen werde politisches Kapital geschlagen.
Und die Roma selbst? Sie möchten ihre Würde wahren können und eine Chance bekommen. Sie wollen niemanden stören und würden sich gerne rechtmässig niederlassen. Dafür bräuchten sie jedoch Unterstützung. «Ein frommer Wunsch», wie Gerber abschliessend festhält.
Legal oder illegal – der Vater von Leonarda hat jedenfalls bereits in der Vergangenheit verlauten lassen, die Familie werde ohnehin nach Frankreich zurückkehren.