Zum Inhalt springen
Archivbild: Blumen und ein grosses Bild von Nemzow vor dessen Haus, Menschen legen weitere Blumen hin.
Legende: Boris Nemzow wurde am 28. Februar 2015 erschossen. Nun kommt es zum Prozess. Getty Images

International Die wahren Mörder Nemzows bleiben im Dunkeln

In Moskau müssen sich ab heute fünf Tatverdächtige im Mord an Boris Nemzov vor einem Militärgericht verantworten. Der Oppositionspolitiker wurde im Februar 2015 nahe des Kremls erschossen. Der Fall ist politisch brisant. Und verworren.

Fünf Männer stehen im Mordfall Nemzow vor Gericht. Sie alle stammen aus Tschetschenien, der Unruhe-Provinz im nordrussischen Kaukasus. Einer von ihnen ist laut Anklageschrift der unmittelbare Mörder. Er soll die tödlichen Schüsse auf Boris Nemzow abgegeben haben. Die anderen werden als Helfershelfer verdächtigt. Sie sollen etwa die Waffe besorgt oder das Opfer beschattet haben.

Wer sind die Auftraggeber?

Doch aufgeklärt ist das Verbrechen damit noch lange nicht. Boris Nemzow war nicht irgendein Oppositioneller. Er hatte Charisma, war schlagfertig und mutig wie kaum ein anderer Kreml-Kritiker. Es ist kaum vorstellbar, dass fünf einfache Tschetschenen einen Mann wie Nemzow einfach so umbringen – sie müssen mächtige Auftraggeber gehabt haben. Wer das war, liegt bis heute im Dunkeln. Der Eindruck besteht, dass es die Ermittler auch gar nicht so genau wissen wollen.

Zwar haben sie einen ehemaligen Kämpfer einer tschetschenischen Elite-Einheit als mutmasslichen Organisator der Tat ausgemacht, doch der Mann ist flüchtig. Kenner des Nordkaukasus' bezweifeln zudem, dass er auf eigene Initiative gehandelt hat. Vielmehr führen die Spuren zum tschetschenischen Gewaltherrscher Ramsan Kadyrow.

Mindestens zwei der mutmasslichen Täter haben im tschetschenischen Sicherheitsapparat gedient. Kadyrow selber hat den angeklagten Todesschützen als «Patrioten Russlands» und «mutigen Krieger» gelobt.

Welche Rolle spielt Kadyrow?

Nemzows Familie verlangt deshalb, dass der tschetschenische Präsident zum Fall mindestens befragt wird. Kadyrow jedoch hat für diese Forderung nur Spott übrig: Er lade die Tochter Nemzows gerne zum Tee nach Tschetschenien ein, sagte er. Als Einladung ist das kaum zu verstehen – eher als unverhohlene Drohung.

Der Fall Nemzow ist deswegen mehr als ein politischer Mordfall. Er ist ein Fall Tschetschenien. Er führt Russland vor Augen, dass in einem Teil des Landes die russischen Gesetze nicht mehr gelten.

Der Kreml hatte Kadyrow einst eingesetzt, damit er mit harter Hand die örtlichen Separatisten besiegt. Inzwischen hat er sich zum autoritären Alleinherrscher aufgeschwungen. Die Kaukasus-Republik ist ein Staat im Staat geworden. Gewalt, Willkür und Repression beherrschen in Tschetschenien den Alltag. Und manchmal strahlen sie bis nach Moskau aus, wie man am Fall Nemzow sieht.

Motiv bleibt im Dunkeln

Unklar bleibt, was für ein allfälliges Motiv Kadyrow gehabt haben könnte, einen Anschlag auf Nemzow zu befehlen. Wollte er sich rächen, weil der Oppositionspolitiker die Zustände in Tschetschenien oft kritisierte? Oder wollte er einen bekannten Kreml-Kritiker ausschalten, um Wladimir Putin seine Treue zu beweisen?

Man weiss es nicht. Auch für jemanden wie Kadyrow gilt die Unschuldsvermutung. Doch die russische Justiz müsste diesen Fragen dringend nachgehen. Bis jetzt hat sie es nicht getan.

Meistgelesene Artikel