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Ein Mann versprüht Gift in einem Wohnquartier.
Legende: Mit Insektengift gegen Dengue-Fieber: Die brasilianische Regierung kämpft gegen die Verbreitung der Stechmücken. Reuters

International «Die Wasserversorgung in Brasilien ist am Anschlag»

In Brasilien erkranken immer mehr Menschen an Denguefieber, das von Mücken übertragen wird. Gründe dafür sind eine Wasserkrise – aber auch die Abholzung des Regenwaldes. Die Regierung begünstige das, sagt Lateinamerika-Korrespondent Ulrich Achermann.

SRF: Was hat die Wasserknappheit mit dem Dengue-Fieber zu tun?

Ulrich Achermann: Die Wassernot ist die grosse Verursacherin der Mückenplage. Die Leute horten Wasser in Fässer und Becken. Das sind ideale Brutstätten für Stechmücken, die sich dann rasend schnell vermehren.

Ulrich Achermann

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Porträt von Ulrich Achermann

Achermann ist seit 2003 SRF-Korrespondent und berichtet über alle Länder Südamerikas. Er hat in Rio de Janeiro und Buenos Aires gelebt. Zurzeit ist seine Basis in Chile.

Besonders schlimm wütet das Denguefieber auch im Bundesstaat São Paulo. Warum gerade dort?

Dort ist die Wasserknappheit am ausgeprägtesten. Die Stadt hat einen Ballungsraum von 20 Millionen Menschen. Die Wasserversorgung dort ist nahe am Anschlag. Das Wasser wird rationiert.

Was tun die Gesundheitsbehörden dagegen?

Sie tun zwei Dinge: Einerseits wird in grossen Mengen Insektengift versprüht. Das ist zwar nicht unproblematisch, aber eines der wenigen Mittel, das noch halbwegs funktioniert, nun, da die Krise schon da ist. Andererseits gibt es Kampagnen im Fernsehen und Radio, welche die Leute anweist, ihre Wasservorräte abzudecken. Aber die Leute schenken dem Aufruf der Regierung wenig Beachtung. Das ist einfach zu erklären: Für die Menschen ist der Wassermangel das grössere Problem, als das Risiko, sich mit Denguefieber anzustecken.

Müsste die Regierung den Wassermangel dann nicht energischer bekämpfen?

Ja, das müsste sie. Es rächt sich, dass die Regierung in den letzten Jahrzehnten viel zu wenig in den Ausbau der Wasser- und Stromversorgung investiert hat. Die Aufgabe, 20 Millionen Menschen mit Wasser und Strom nachhaltig zu versorgen, ist schon eine Herkulesaufgabe für sich alleine. Momentan erhalten die Menschen die Quittung.

Gibt es Gründe, warum so wenig passiert?

Für die Politik sind öffentliche Investitionen, die für die Bürger nicht sichtbar sind, sehr unbeliebt. Denn sie bringen keine Stimmen ein.

Im Moment ist in Brasilien Regenzeit. Bislang hat es aber nur halb so viel geregnet wie sonst. Warum?

Die Meteorologen glauben, dass sich durch die Abholzung weniger Wolken im Amazonasgebiet bilden und es deshalb weniger regnet. Sie erforschen das genauer. In den nächsten Jahren werden wir genauere Daten erhalten.

Aber müsste die Regierung dann nicht mit der Abholzung des Regenwaldes aufhören?

Die Regierung selber holzt nichts ab. Aber sie hat die Grundlagen geschaffen, welche die Abholzung begünstigen und nicht etwa stoppen. Das ist nun wahrscheinlich schon die erste Quittung für diese Politik.

Müsste es also erst dazu kommen, dass Wasser und Strom rationiert werden müssen, und dass noch mehr Menschen an Denguefieber erkranken, damit die Politik handelt?

Das grosse Schreckensszenario in São Paolo ist, dass Wasser und Strom gleichzeitig rationiert werden müssen. Diese Gefahr besteht tatsächlich. Allerdings hat es fast eine politische Tradition in Lateinamerika, dass den Leuten das Wasser bis zum Hals stehen muss, bis die Politik aktiv wird. Natürlich hat die Lokalregierung von São Paolo versprochen, die Staubecken auszubauen und die Wasserversorgung sicherer zu machen, aber das geht natürlich nicht über Nacht.

Das Gespräch führte Barbara Büttner.

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