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Ein Kind schaut durch Absperrgitter in die Kamera.
Legende: Heil angekommen in Erfurt: Ein Flüchtlingskind aus Syrien. Keystone

International «Dies ist ja kein Gefängnis!»

Wer es als Flüchtling nach Deutschland schafft, wird in ein Erstaufnahmezentrum irgendwo im Land gebracht. Dort werden die Asylsuchenden registriert und warten dann auf den Entscheid über ihren Antrag. SRF-Korrespondent Peter Vögeli hat das Zentrum in Erfurt besucht.

Die erste Überraschung zeigt sich schon vor dem Messegelände am Rande von Erfurt, vor dem Erstaufnahmezentrum an einer vielbefahrenen, breiten Strasse. Viele junge Männer machen sich zu Fuss auf den Weg in die Stadt. Einem ist sofort klar, dass ich kein Flüchtling bin. «Sprechen Sie französisch? – Wunderbar. Sind Sie Journalist? – Sehr gut», sagt ein junger Mann aus der Elfenbeinküste.

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«Wir sind hier und haben keine Ahnung, was passiert», fährt er fort. Es gebe keine französischen Dolmetscher. Es werde nur Englisch und Arabisch gesprochen. Alles drehe sich um die Syrer, beklagt sich der junge Koch. Er ist erschöpft und etwas frustriert. Er sei seit vier Jahren unterwegs und vor zehn Tagen in Erfurt angekommen.

Asylbewerber können sich frei bewegen

Was in dem Erstaufnahmezentrum den Besucher aber wirklich überrascht ist die Tatsache, dass die Flüchtlinge kommen und gehen, wie sie wollen. «Dies ist ja kein Gefängnis», sagt der Geschäftsführer der Messe Erfurt, Wieland Kniffka, etwas pikiert.

Peter Voegeli

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Peter Voegeli ist seit Sommer 2015 SRF-Korrespondent in Deutschland. Er arbeitet seit 2005 für Radio SRF, zunächst als USA-Korrespondent, danach als Moderator beim «Echo der Zeit» .

In den USA nach Hurrikan «Katrina» war das ganz anders. Dort bewachte die Nationalgarde die eigenen Landsleute. Bewaffnete Soldaten und Fahrzeuge hielten ein Gemeinschaftszentrum in Baton Rouge, Louisiana, umstellt. Dort waren schwarze Flüchtlinge aus New Orleans untergebracht.

Unaufgeregte Stimmung im Zentrum

In Deutschland, sagt Kniffka, würden die Flüchtlinge registriert, danch erhielten sie eine Art Ausweis. Für Ruhe und Ordnung in dem Aufnahmezentrum mit rund 1000 Menschen sorgt ein privater Sicherheitsdienst. Die Polizei werde nur hinzugerufen, wenn man eine sogenannte «Lagesituation» habe, so Kniffka. Also erst, wenn es in einer bestimmten Situation ohne Polizei nicht mehr geht.

Es fällt auf, wie unaufgeregt die Stimmung ist. Männer und Frauen sind getrennt, Familien unter sich. Sogar Steckdosen zum Aufladen der Handys sind arabisch angeschrieben. Die Hallen sind nicht überfüllt, es gibt ein Wartezimmer für Kranke in der improvisierten Arztpraxis. Die Abläufe haben sich eingepegelt.

Auf Freiwillige angewiesen

Acht Wochen wartet man in Deutschland derzeit auf Duschcontainer, aber Kniffka hatte Beziehungen durch seinen Job. Vieles lief die ersten Tage und Wochen nur dank freiwilliger Helfer, der Staat kam nur langsam in die Gänge. «Ohne freiwillige Helfer würde das hier gar nicht funktionieren», so Kniffka. Es seien derzeit wohl mehr Freiwillige in dem Erstaufnahmezentrum im Dienst als offizielle Helfer.

Es gibt einen Kindergarten, Kinder drängeln sich um einen Fernseher, es gibt Tischfussball, Fuss- und Basketball. Der Leiter der Messe Erfurt ist beeindruckt, wie schnell sich die Kinder eingewöhnen und schon wenige Tage nach Ankunft in dem Zentrum «unbeschwert» agierten. Wie zum Beweis stürzt sich eine Kinderschar aufs SRF-Mikrophon – für die Kinder eine willkommene kleine Abwechslung.

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