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International #Egypt#Coup: War es ein Putsch oder nicht?

Das ägyptische Militär setzt den Präsidenten ab – mit dem Volkswillen im Rücken. War die Absetzung Mohammed Mursis ein Militärputsch im klassischen Sinne? Oder hat das Militär vollzogen, was die Bevölkerung mit den Massenprotesten verlangte? Die Frage bringt viele in Verlegenheit.

Der Putsch

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Meist ein gewaltsamer Umsturz einer zivilen Regierung. Die Putschisten waren zuvor nicht an der Macht beteiligt. Oft putscht das ganze Militär oder Offiziere. Das Wort stammt aus der Schweiz. Es wurde bekannt durch die Schweizer Volksaufstände der 1830er-Jahre.

Klare Sache für Nelly Nour El Din: «Was in Ägypten passiert ist, ist kein Coup. Die Armee ist schlicht auf die Forderung von Millionen Ägyptern eingegangen. Ägypten ist endlich frei.»

Für die Mursi-Gegner ist die Absetzung des Präsidenten die Frucht der Proteste. Die Verlierer-Seite, also Anhänger der Muslimbrüder, ist erbost über die Einmischung des Militärs – die Einmischung in einen demokratischen Prozess.

«Ein Coup folgt auf die Demokratie, Fernsehstationen werden geschlossen, Leute festgenommen. Wo ist hier die Freiheit???», twittert User h_elbanna.

Es ist unklar, wie die Entmachtung vergangene Nacht überhaupt betitelt werden soll. Durch die sozialen Netzwerke und die Medien geistern allerlei verschiedene Begriffe: Staatstreich, Coup, Putsch oder Umsturz. Die Definitionen sind nicht immer trennscharf. Staatstreich und Putsch werden zum Teil ebenso synonym verwendet wie Umsturz und Revolution.

«Nur indirekt ein Militärputsch»

Für Islamwissenschaftler Reinhard Schulze ist klar: «Es war sicherlich kein Militärputsch im klassischen Sinne». Denn das Militär habe sich nicht selbst an die Macht geputscht, sagt Schulze im Interview mit SRF. «Die Armee will so etwas wie eine Kontrollfunktion darstellen. Indirekt ist es natürlich ein Militärputsch. Das Militär hat die Macht und alle zivile Gewalt wird vom Militär abhängig sein.»

Der Staatsstreich

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Der Begriff ist abgeleitet vom Wort Coup d’Etat. Ein Verfassungsorgan wird von einer Gruppe gestürzt, die bereits mit an der Machtausübung beteiligt ist. Das Parlament drängt den Regierungschef aus dem Amt oder der Präsident löst das Parlament unter Androhung von Gewalt auf.

Die Begrifflichkeit wird zum Problem für die Länder, welche Mursi als demokratisch gewählten Präsidenten Ägyptens anerkannt hatten. Die westliche Welt reagiert vorsichtig besorgt: Das militärische Eingreifen in die Angelegenheiten eines jeden Staates sei bedenklich. Dies sagte etwa UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon. Trotzdem scheinen die konsternierten Länder beide Augen zuzudrücken. Sie fordern lediglich schnelle demokratische Wahlen.

Für die USA ist die Situation besonders ungemütlich. Als wichtiger Geldgeber der ägyptischen Armee hat sich Präsident Brack Obama gründlich überlegt, welchen Terminus er für den Machtwechsel verwenden soll. Er sei «zutiefst besorgt» über den Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten. So seine verzögerte Reaktion.

Obama meidet Wort «Putsch»

Der Umsturz

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Änderung der bisherigen politischen Ordnung durch Beseitigung der bestehenden Regierungsform. Dazu kann Gewalt gehören, muss aber nicht. Begleitet wird ein Umsturz oft von Massenbewegungen, die je nach Ausrichtung auch als revolutionär bezeichnet werden können.

Das entscheidende Wort «Putsch» hat Obama bewusst vermieden. Denn sollten die USA Mursis Sturz tatsächlich als Coup d'Etat definieren, könnte das erhebliche finanzielle Konsequenzen haben: Ein US-Gesetz von 1961 schränkt die Hilfe an die Regierung jedes Landes ein, «dessen ordnungsgemäss gewählter Staatschef durch einen Militärputsch oder -erlass abgesetzt wird».

Er habe seine Regierung angewiesen, zu prüfen, welche Konsequenzen die Ereignisse auf die Hilfe für Ägypten hätten, sagte Obama. Offenbar sucht er einen Ausweg aus der Zwickmühle. Seit Jahrzehnten fliessen jährlich ca. 1,3 Milliarden Dollar Militärhilfen in das Land.

Inzwischen mehren sich Berichte, wonach Soldaten Muslimbrüder festnehmen. Darunter sei auch der Vorsitzende der Bewegung, Mohammed Badie. Dies ist für Clarissa Ward Grund genug, die Diskussion über die Begrifflichkeit als obsolet zu werten. «Was soll das nun das Ganze ’es ist kein Coup‘. Es werden ungestraft Leute verhaftet. Beschönigt die Situation nicht. Es ist ein Coup.»

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