Schwer gerüstete Einsatzkräfte haben zehntausende Demonstranten attackiert, die sich auf dem Taksim-Platz versammelt hatten. Der türkische Nachrichtensender NTV sprach vom Taksim-Platz als einem «Schlachtfeld».
Die Polizei feuerte Tränengas in die Menschenmenge, das in Schwaden über den Platz zog. Notarztwagen transportierten Verletzte ab. In einem Hotel wurde eine improvisierte Aufnahmestation für Verletzte eingerichtet.
Der Gouverneur von Istanbul erklärte, kleine Gruppen hätten die Polizei angegriffen, obwohl sich diese an den Rand des Platzes zurückgezogen habe.
Ein dramatischer Tag
Der Dienstag von vorne: Es ist Morgen, 7 Uhr. Die Polizei rückt vor. Ihr Ziel ist der Platz im Zentrum von Istanbul. Wasserwerfer und gepanzerte Geländewagen beziehen Stellung. Schwer gerüstete Einsatzkräfte feuern Tränengas. Viele Demonstranten ziehen sich in den angrenzenden Gezi-Park zurück. Der Platz ist zum Symbol der Proteste geworden.
Die Zusammenstösse dauern an, Stunden vergehen, kein Ende ist absehbar. Alle paar Sekunden knallen die Tränengasgranaten. Rauch steht über dem Platz. Notarztwagen bahnen sich einen Weg durchs Chaos. Die Behörden sprechen von nur einigen Verletzten. Der Ärzteverband widerspricht: Es gebe mehrere hundert Verletzte.
Erdogan gibt sich unmissverständlich hart
Unterdessen zeigt sich Erdogan hart: «Wir werden nicht nur die Proteste beenden. Wir werden Provokateure und Terroristen verfolgen. Niemand wird davonkommen». Die Rede hält er vor den Parlamentariern seiner islamisch-konservativen AKP.
Erdogan verteidigt sich: «Was hätten wir denn machen sollen. Etwa vor diesen Leuten niederknien und sagen, bitte hängt eure Banner ab.» Am Vortag hatte Erdogan noch erklärt, er wolle am Mittwoch mit den Vertretern der Protestbewegung sprechen.
Am Abend eskaliert die Situation auf dem Taksim-Platz erneut. Hundertausende von Jugendlichen strömen wieder auf den Platz. Sie haben gehört, die Polizei habe sich zurückgezogen und folgen dem Demonstrationsaufruf. Doch die Polizei attackiert die Aktivisten, schiesst wild um sich, offenbar in Panik. Dies berichtet SRF-Korrespondent Werder Van Gent, der sich unweit des Platzes in Sicherheit bringen konnte.
Ein neuer Arabischer Frühling?
Für das Wochenende hat Erdogan Kundgebungen seiner Anhänger in Istanbul und Ankara angekündigt. «Es weist alles auf eine Konfrontation hin», sagt Van Gent. Steht der Türkei demnach ein arabischer Frühling bevor, ähnlich wie ihn Libyen oder Ägypten durchlebt haben?
Van Gent glaubt nicht an einen Arabischen Frühling in der Türkei. «Immerhin ist die Türkei eine parlamentarische Demokratie», so Van Gent.
Doch es gebe sicher Parallelen zu Libyen oder Ägypten: Da seien die Bürger, die mehr Freiheit und weniger Korruption wollten. Da sei das zunehmend selbstherrliche Auftreten von Erdogan. Aufgrund seines enormen Erfolges – auch in der Wirtschaft – gebärde er sich als eine Art Sultan. «Erdogan ist zum Potentaten geworden», sagt Van Gent.