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International Türkische Proteste fordern viertes Todesopfer

Der Widerstand bleibt: Zehntausende demonstrierten am Mittwochabend in Istanbul friedlich gegen die Regierung. In der Stadt Tunceli kam es zu Strassenschlachten zwischen Aktivisten und der Polzei. Ein Verletzter verstarb inzwischen im Spital. Ein Ende der Proteste ist nicht in Sicht.

Die Unruhen in der Türkei haben ein neues Todesopfer gefordert. Ein Polizist ist in Adana bei einem Einsatz gegen Demonstranten von einer Brücke in den Tod gestürzt. Das Berichten verschiedene türkische Zeitungen.

Damit forderten die Proteste bereits vier Menschenleben. Unter ihnen auch ein weiterer Demonstrant, der in Ankara seinen schweren Verletzungen erlag. Die Zahl der Verletzten sei inzwischen auf weit über 4000 gestiegen, teilte der Ärzteverband weiter mit. Davon befänden sich 43 in einem kritischen Zustand.

Auch in der vergangenen Nacht kam es wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. In der Stadt Tunceli im Osten des Landes lieferten sich 300 Demonstranten Strassenschlachten mit der Polizei.

In Istanbul blieb es dagegen weitgehend ruhig. Auf dem zentralen Taksim-Platz und im angrenzenden Park protestierten am Abend Zehntausende friedlich gegen Ministerpräsident Erdogan. An einer Demonstration in Ankara hatten sich bis zum Abend vor allem Gewerkschaften beteiligt. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolou wurden neun Menschen festgenommen.

Ausländer festgenommen?

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Die türkische Polizei soll bei Einsätzen gegen Demonstranten auch insgesamt 15 Ausländer festgenommen haben. Ihnen werde vorgeworfen, sich als Provokateure unter die Demonstranten gemischt zu haben, berichteten mehrere türkische Zeitungen. Eine offizielle Bestätigung gab es zunächst nicht.

Website von Erdogan lahmgelegt

In Izmir setzte die Polizei ihre Fahndung nach Internetaktivisten fort. Bislang sollen 29 Twitter-Nutzer in Gewahrsam genommen worden sein. Ihnen wird vorgeworfen, zu einem Aufstand angestachelt und Falschinformationen verbreitet zu haben.

Hacker der Internet-Gruppe Anonymous legten am Mittwoch die Internetseite des türkischen Ministerpräsidenten lahm. Die Seite war bis zum Nachmittag vom Netz. Türkischen Berichten zufolge sollen sich die Hacker auch Zugang zu E-Mail-Konten verschafft haben.

Für Gewalt verantwortliche Funktionäre sollen abtreten

Eine der führenden Protestinitiativen, die Taksim-Plattform, kündigte nach einem Treffen mit Vizeregierungschef Bülent Arinc in Ankara an, ihren «Kampf» fortsetzen zu wollen, bis die Regierung auf ihre Forderungen eingehe. Auch Gewerkschaften riefen ihre Anhänger auf die Strassen.

Die Aktivisten verlangen unter anderem den Erhalt des Gezi-Parks in Istanbul, der einem Einkaufszentrum weichen soll. Ferner müsse der Einsatz von Pfefferspray und Tränengas verboten werden. Alle für die Gewalt gegen Demonstranten verantwortlichen Funktionäre sollten entlassen werden, hiess es.

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Nobelpreisträger kündigt Unterstützung an

An dem Einsatz im Gezi-Park hatten sich die Proteste vor knapp einer Woche entzündet. Inzwischen richten sich die Demonstrationen vor allem gegen den als immer autoritärer empfundenen Kurs von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der Extremisten für die Demonstrationen verantwortlich gemacht hatte.

Der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk äusserte seine Unterstützung für die Proteste. «Die Erdogan-Regierung ist unterdrückend und autoritär», zitierte die Zeitung «Radikal» den Schriftsteller.

«Er redet dem Volk nach dem Maul»

«Erdogans Image hat Schaden genommen», sagt der Journalist Thomas Seibert in Istanbul. Der Nimbus der Allmacht sei dahin. «Die Protestbewegung hat gezeigt, dass ein grosser Teil der türkischen Bevölkerung mit seiner Politik nicht einverstanden ist.»

Ein kühles Verhältnis zur EU, ein überaus hartes Vorgehen gegen Proteste – Erdogan mutiert vom Hoffnungsträger zum autoritären Buhmann. Doch Seibert relativiert. Erdogan sei in erster Linie Machtmensch. «Er will Wahlen gewinnen. Wenn er zum Beispiel davon spricht, die Todesstrafe wieder einführen zu wollen, dann ist das an die Adresse seiner Anhänger gerichtet.»

Aber: Solchen extremen Äusserungen seien bisher noch keine Taten gefolgt. «Erdogan redet dem Volk nach dem Maul, ohne dass das dann konkrete Politik werden muss.»

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