Zum Inhalt springen

International Erdogan: «Solche Unfälle passieren ständig»

Das Bergwerkunglück im Westen der Türkei hat über 270 Arbeitern das Leben gekostet. Hunderte sind immer noch unter Tage eingeschlossen. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagt lapidar: «Solche Unfälle passieren ständig.»

Nach dem verheerenden Grubenunglück in der Westtürkei schwindet die Hoffnung auf eine Rettung der noch unter Tage eingeschlossenen rund 120 Kumpel. Die Zahl der Toten stieg bis Mittwochabend nach Angaben der Regierung auf mindestens 274.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan rief eine dreitägige Staatstrauer aus. Er kündigte am Unglücksort in Soma umfassende Ermittlungen an und versprach, «keine Nachlässigkeit» zu dulden. Doch Erdogan spielte die schlechte Sicherheitsbilanz der Kohlebergwerke in seinem Land mit einem Vergleich aus dem 19. Jahrhundert herunter.

«Solche Unfälle passieren ständig», sagte Erdogan. «Ich schaue zurück in die englische Vergangenheit, wo 1862 in einem Bergwerk 204 Menschen starben.» Der Regierungschef zählte weitere Grubenunglücke in England, den USA und in anderen Ländern aus längst vergangenen Jahren auf. «Liebe Freunde, in China sind 1960 bei einer Methangasexplosion 684 Menschen gestorben.»

Verzweifelte Angehörige

«Unsere Hoffnungen werden immer geringer», gestand Energieminister Taner Yildiz. Das Problem sei «ernster, als wir dachten». Er rechnete mit weiteren Toten und sagte, die Opferzahl könne die des bislang schwersten Grubenunglücks in der Türkei noch übersteigen.

Dem Minister zufolge konnten in Soma 363 Arbeiter gerettet werden, Erdogan schätzte die Zahl der Eingeschlossenen auf noch rund 120.

Im Bergwerk war nach der Explosion eines Transformators am Dienstag ein Feuer ausgebrochen, das am Mittwoch weiter wütete. Tödliches Kohlenmonoxid behinderte die Rettungsarbeiten. Den Sicherheitskräften zufolge bildeten sich nach der Explosion in dem Bergwerk zwei Lufttaschen, von denen eine für die Rettungskräfte zugänglich, die zweite jedoch versperrt war. Die meisten der Todesopfer starben an Kohlenmonoxidvergiftung.

Hunderte verzweifelte Angehörige und Kollegen warteten vor dem Grubeneingang auf Neuigkeiten. Nur vereinzelt wurden Überlebende ans Tageslicht gebracht.

Streit um angebliche Sicherheitsmängel

Unterdessen tobte die Debatte über die Sicherheit in dem Bergwerk. Kritiker werfen der Regierung vor, bei der Privatisierung vieler ehemals staatlicher Bergbaufirmen in den vergangenen Jahren die Einhaltung der Sicherheitsvorkehrungen ignoriert zu haben. «Es hat in den letzten Monaten immer wieder Unfälle gegeben», berichtet Korrespondent Werner van Gent. Er kritisiert auch die Sicherheitschecks der Minen. «Sie werden immer angekündigt und sind deshalb wirkungslos.»

Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf, der linke Gewerkschaftsbund DISK sprach von einem «Massaker».

Die Opposition habe vor genau zwei Wochen im Parlament eine parlamentarische Untersuchung gefordert, sagt van Gent. Die sei von der Regierungspartei abgeschmettert worden. «Der Regierungsvertreter hat damals im Parlament gesagt, die Grube sei so sicher, dass sich die Arbeiter dort nicht einmal vor einer blutigen Nase fürchten müssten.»

«Es geht nur um den Gewinn»

Laut Türkei-Korrespondent Thomas Seibert existieren auch viele illegale Bergwerke. «Es gibt in der Türkei immer wieder schwere Bergwerkunfälle», so der Experte. Das aktuelle Unglück in Soma spielte sich aber in einem angemeldeten Unternehmen ab

Für Seibert ist trotz der Staatstrauer und den Beileidsbekundungen von offizieller Seite klar: «Das wird auf jeden Fall ein politisches Nachspiel haben. Es zeichnet sich auch schon ab, dass die Protestbewegung gegen Erdogan wieder mobil macht.»

Auch van Gent glaubt an Folgen für Erdogan, gerade auch angesichts der in drei Monaten stattfindenden Präsidentschaftswahlen. «Bei diesen Wahlen will Erdogan zum Präsident gewählt werden.» Es werde aber enger für ihn, nach der Art und Weise wie er mit dieser Krise umgeht.

Meistgelesene Artikel