US-Präsident Barack Obama und Kreml-Chef Vladimir Putin haben seit Februar erstmals wieder miteinander telefoniert. Hinter dieser vermeintlich unbedeutenden Meldung stecken interessante Zusammenhänge. Die Telefondiplomatie folgt subtilen Spielregeln.
Der Ablauf
Wie Fredy Gsteiger, langjähriger Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor Radio SRF erklärt, werden derartige Gespräche in aller Regel von einem Kabinettschef aufgegleist. Dieser wende sich an sein Pendant im Präsidialamt des anderen Staates. Meist seien am Gespräch aber auch einige der engsten Berater der Präsidenten beteiligt. Da Obama kein Russisch und Putin nur schlecht englisch spreche, seien über Lautsprecher oder mit Kopfhörern auch Übersetzer zugeschaltet.
Auch wenn die Akteure ihre Gespräche über abhörsichere Verbindungen führen, wird deren Inhalt doch rasch der Öffentlichkeit zugetragen. Eine solche Berichterstattung ist laut Gsteiger insbesondere in den Vereinigten Staaten üblich, «ja für den amerikanischen Präsidenten eine Pflicht.
Denn der US-Präsident hat kein Recht, auf diplomatischer Ebene private Gespräche zu führen.
Der Kreml-Chef hingegen mache nur öffentlich, was er bekannt geben wolle. Vergleichbare Freiheiten nehme sich Putin übrigens auch in Sachen Lokalität heraus: «Obama führt die Gespräche vom Oval Office oder von einem Konferenzzentrum im Weissen Haus aus. Putin kann die Telefonate mit seinem amerikanischen Gegenüber auch von seiner Datscha aus führen.»
Die Geschichte
Die Telefondiplomatie geht auf die Kubakrise im 1962 zurück. Aus dem Konflikt zwischen der Sowjetunion und den USA, der sich damals um ein Haar in einer nuklearen Katastrophe entlud, hatten beide Kontrahenten ihre Lehren gezogen. Mit einer «Hotline» – dem sogenannten Roten Telefon – wollten sie die Kommunikation optimieren. Damit vergleichbare Spannungen fortan frühzeitig entschärft werden konnten.
Die Diplomatie via Telefon hat bis heute nicht an Bedeutung verloren. Im Kontext der Krim-Annexion führte etwa Präsident Putin allein im ersten Semester des Vorjahres 120 Telefonate mit Spitzenpolitikern. Einige Gespräche wies der für seinen Eigensinn bekannte Präsident aber auch ab. Einen Anruf des ukrainischen Interimspräsidenten Alexander Turtschinow beispielsweise ignorierte er anfangs März gezielt.
Die Funktion
Was die Funktion solcher Telefonate betrifft, betont Gsteiger, wie wichtig diese grundsätzlich seien. Essentiell seien sie etwa bei Themen, in denen Obama und Putin vergleichbare Interessen verfolgten. «Im Verlauf ihrer Telefonate können die Staatschefs ausloten, wo sie sich im Detail finden.»
Der Bedarf an Telefongesprächen nehme grundsätzlich zu, je weniger sich die Politiker mögen. Dass Obama und Putin wenig Sympathien füreinander haben, ist bekannt. Die telefonische Konversation bietet ihnen die Möglichkeit, beim politisch notwendigen Austausch auf Distanz zu bleiben.
Die Telefonate zwischen Spitzenpolitikern haben auch eine symbolische Funktion. Konkret senden sie Signale, um Konflikte wenn nicht zu lösen, so doch wenigstens zu entschärfen. Dazu Gsteiger:
Die beiden Akteure zeigen der Öffentlichkeit: Schaut her, wir probieren es wenigstens.
Dass Ferngespräche geheim gehalten werden, kommt demgegenüber selten vor. Stillschweigen ist etwa angesagt, wenn Obama mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani telefoniert, um im latenten Atom-Konflikt voranzukommen. «Bliebe das Telefonat in diesem Fall nicht geheim», so Gsteiger, «könnte das just jene Kräfte im Iran und den USA mobilisieren, die ein Abkommen verhindern wollen.»
Ein Fazit
So komplex die Telefondiplomatie auf der einen Seite ist, so ist sie handkehrum doch eine erstaunlich profane Angelegenheit. Wie im Privaten wird auch in der grossen Politik niemals nur um des Redens willen geredet. Das Gespräch, respektive die Bereitschaft dazu, stellt eine menschliche Verbindung her – ganz unabhängig davon, wie sich die Teilnehmer gesinnt sind.
Sendebezug: SRF Nachrichten, 26.06.2015, 08:00 Uhr