Ungefähr 30 Ordner füllen die 6000 Seiten des transpazifischen Freihandelsabkommens. Melinda St. Louis von der Nichtregierungsorganisation Public Citizen hat sich durchgekämpft und findet: «Die Regierung von Barack Obama versucht, es als modernes, progressives Abkommen zu verkaufen. Aber die Fakten erzählen eine ganz andere Geschichte.»
Das transpazifische Abkommen unterscheide sich fast gar nicht von früheren Freihandelsabkommen, sagt St. Louis: Es werde die Auslagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer verstärken. Das Abkommen komme den Konzernen weit entgegen. So etwa könnten ausländische Finanzfirmen zum ersten Mal gegen Finanzmarkt-Regulierungen klagen. Pharmafirmen könnten Monopolrechte länger behalten, was zu teureren Medikamenten in Schwellenländern führen werde. Und der Gesundheitsschutz bei Lebensmitteln werde gelockert.
Am stärksten umstritten ist der Mechanismus, mit dem Konflikte zwischen ausländischen Investoren und Staaten beigelegt werden sollen. Dieser erlaubt es Firmen, vor aussergerichtlichen Schiedsstellen gegen Staaten zu klagen, falls sie sich durch Regulierungen benachteiligt sehen. Erfahrungen damit gibt es bereits: Konzerne haben gegen Umweltauflagen und den Entzug von Bohrlizenzen geklagt – und wurden mit Steuergeldern entschädigt. Der Freihandelsvertrag sei insgesamt schlecht, urteilt die NGO-Vertreterin St. Louis: «Wir befürchteten, dass das Abkommen eine Wunschliste der Grosskonzerne sein würde, und so ist es.»
Arbeiterschutz nicht besser als vorher
Obama hingegen betont stets, dass dank dem transpazifischen Freihandelsabkommen neu auch Schutzbestimmungen für Arbeitnehmer und die Umwelt eingefordert und durchgesetzt werden könnten. Melinda St. Louis von Public Citizen widerspricht: «Diese Bestimmungen gab es schon vorher – sie wurden aber bisher nie durchgesetzt.» Der Schutz für Arbeiter und Umwelt sei ungenügend, urteilen auch Gewerkschaften und Umweltschutzverbände unisono. Sie lehnen das transpazifische Handelsabkommen ab.
Was den einen zu wenig Schutz ist, ist den anderen zu viel. Der republikanische Senator Orrin Hatch, Vorsitzender der Finanzkommission und ein gewichtiger Kämpfer für den Freihandel, findet die Bestimmungen für Arbeitnehmende und Umwelt schädlich für den Handel. Der US-Wirtschaftsdachverband «Chamber of Commerce» hat sich noch nicht für das Abkommen ausgesprochen.
Simon Lester von der konservativen Denkfabrik Cato Institute ist überzeugt: «Die Regulierungsfragen gehören nicht in einen Handelsvertrag. Es gibt ja eine Weltorganisation für intellektuelles Eigentum und die internationale Arbeitsorganisation ILO. Das alles in einen Handelsvertrag zu packen, macht wenig Sinn und schafft nur Gegner.»
Kein Grund für neue Schlichtungsinstanz
Der konservative Handelsexperte begrüsst die Abschnitte des Vertrags, in denen Marktzugang und Zollsenkungen geregelt sind, die also den freien Handel erleichtern. In einem Punkt ist sich Lester einig mit den linken Kritikern des transpazifischen Freihandelsvertrages: Er findet das Streitschlichtungsverfahren zwischen Investoren und dem Staat fragwürdig. Dieses Instrument ist ursprünglich geschaffen worden, damit Firmen für Enteignungen entschädigt werden können.
Doch dies passiere heute nur noch äusserst selten, sagt Lester. Länder buhlten mittlerweile sogar um Firmen aus dem Ausland und versuchten, sie mit Steueranreizen und anderen Geschenken anzulocken: «Das Problem existiert nicht und es wirft zusätzlich die Frage auf: Weshalb dürfen Investoren ein spezielles aussergerichtliches Schlichtungsverfahren anrufen, sonst aber niemand? Da haben die Gegner Recht, ich sehe auch keinen Grund hierfür.»
Das transpazifische Freihandelsabkommen wird also auch von Befürwortern des freien Handels kritisiert. Die Obama-Regierung wird noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um im Kongress dafür eine Mehrheit zu finden.