In Afghanistan heisst es, wer die Wahlen in der südlichen Provinz Kandahar gewinne, der werde Präsident. Das von Paschtunen dominierte Kandahar war die Geburtsstätte der Taliban. Hier versammelte Taliban-Führer Mullah Omar seine Kämpfer, hier wohnte er.
Die Stadt gilt heute als relativ sicher, hinter der Stadtgrenze jedoch sieht es anders aus. Die Drohungen der Taliban könnten viele Afghanen am Samstag von den Urnen fernhalten; die einen haben ihre Wahlkarte ohnehin längst weitergegeben.
Reich dank der Präsidentenfamilie
Auf dem Fussballplatz von Aino Mina spielen sich Jugendliche die Bälle zu. Im Wohnviertel mit den mint-grün und pink gestrichenen Villen und Florentiner Springbrunnen glaubt man sich nicht mehr in Afghanistan und schon gar nicht im erzkonservativen Kandahar.
Der 24-jährige Mohammed Halim sagt, Aino Mina sei einer der sichersten Orte in Kandahar: «Früher mussten wir uns vor Selbstmordattentäter und Schiessereien fürchten. Doch jetzt ist die Stadt sicher und Aino Mina wird gut bewacht.»
Das Luxusviertel wurde von Mahmud Karzai, dem Bruder von Präsident Hamid Karzai, erbaut. Hier wohnen jene, die in den letzten 12 Jahren steinreich geworden sind – dank Verbindungen zur Präsidenten-Familie und damit dem direktem Zugang zu den Aufträgen der Nato-Truppen und ihren Vertragsnehmern.
Als Dank seine Stimme abgeben
Halim arbeitete als Übersetzer für die amerikanischen Soldaten, sein Vater hat einen Regierungsjob. Er will sich mit seiner Stimme für diese Privilegien am kommenden Samstag bedanken. Er will Zalmai Rassoul wählen, weil das Präsident Karzais Favorit sei. Bei den letzten Wahlen 2009 habe er für Karzai gestimmt.
Damals waren laut Schätzungen 40 Prozent aller Stimmen aus Kandahar gefälscht – zugunsten von Hamid Karzai, wie Martine van Bijlert vom Afghan Analyst Network sagt, einer Denkfabrik in Kabul. Lokale Anführer hätten die Wahlurnen eingesammelt und sie mit Geisterstimmen gefüllt. «Es kann gut sein, dass diesmal dasselbe passieren wird vor allem in den unsicheren Gebieten ausserhalb der Stadtgrenzen. Niemand weiss, wie viele Wahlkarten dort eigentlich im Umlauf sind.»
Mit Kandidat Rassoul seine Pfründen sichern
Wer in den letzten Jahren von Hamid Karzai profitiert hat, wird wohl dessen Wunschkandidaten Rassoul wählen, um sich seine Pfründe auch in Zukunft zu sichern, fährt van Bijlert fort.
Das trifft etwa auf Abdul Razeq zu, den Polizeichef der Provinz, der vom Präsidenten auf seinen Posten gehievt wurde. Er kontrolliert die Provinz und die Grenze mit harter Hand. In Kandahar, wo der Drogenanbau und Schmuggel blühen, ist dieser Posten Gold wert. Razeq könnte ihn verlieren, falls einer der beiden anderen Spitzenkandidaten, Ashraf Ghani oder Abdullah Abdullah, gewinnen würde.
Auf dem Land wählen viele nicht
Bei den letzten Wahlen gingen die meisten Bewohner der Provinz jedoch gar nicht erst an die Urnen. Das könnte diesmal nicht anders sein – vor allem auf dem Land. Die Wahlen bedeuten für viele der Bauern vor allem eines: Ein zusätzliches Problem. Auch für Sheir Mohammed, der aus der Provinz Helmand ins Mirwais Spital in Kandahar gekommen ist.
Von der Regierung enttäuscht
Es ist Anlaufstelle von Patienten aus dem ganzen Süden des Landes. Mit der Hilfe des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, IKRK, werden hier Opfer von Verkehrsunfällen und Kriegsverletzte verarztet. Sheir Mohammed sagt, er habe zwar eine Wählerkarte, um an den Checkpoints vorbei zu kommen. Wer keine Karte habe, den halten die Soldaten auf. «Sie sagen dann, er sei ein Taliban. Und wer eine Karte hat, den bedrohen die Taliban.»
Er wisse noch nicht, ob er wählen werde. «Von der Regierung erwarten wir sowieso nichts. In den letzten Jahren hat der lokale Kriegsfürst alles Geld der Regierung und der Ausländer in seine Tasche gesteckt. Unser Leben hat sich nicht verbessert.»
Stimmen gegen Geld
Vor dem Spital wartet Haji Mohammed, ein alter Bauer, der nur eine Stunde ausserhalb von Kandahar wohnt. Er kann keinen einzigen Präsidentschaftskandidaten beim Namen nennen. Und doch wird auch seine Stimme bei diesen Wahlen zählen. Er kann weder lesen noch schreiben. «Wie soll ich da wissen, wer ein guter Präsident ist? Ich habe meinen Stimmzettel an unseren Stammesführer gegeben.» Der werde alle erhaltenen Stimmzettel jenem Kandidaten geben, der am meisten bezahle.
Die Fussballspieler der Luxussiedlung Aino Mina verkaufen ihre Stimme nicht. Schliesslich haben ihre Familien bereits genug von der Familie Karzai profitiert und hoffen, dass sich das mit Karzais Wunschkandidaten nicht ändern würde.
(stric;widb)