Er sei der «Umsiedlungsbotschafter» für Detroit, sagt Bruce Schwartz lachend. Im Auftrag des milliardenschweren Investors Dan Gilbert versucht er, Firmen und Bewohner in die Innenstadt zu locken.
«In Detroit gibt es Wolkenkratzer zu Schnäppchenpreisen», sagt Schwartz zu «Reporter». Der Quadratmeter koste läppische 100 Dollar. Investor Gilbert hat bereits 1,3 Milliarden Dollar in die Stadt investiert und hofft mittelfristig auf den grossen Gewinn. Bisher haben sich aber erst 80 kleinere und mittlere Unternehmen angesiedelt, vor allem Start-Ups im Technologie-Bereich. Die grossen Konzerne wie Google und Nike werden noch umworben.
Von Motorcity zu Murder City
In der Innenstadt erahnt man noch den Glanz der 1950er-Jahre, als die Industriestadt boomte. Aber Detroit ist hundert Mal grösser als Downtown. Kaum verlässt man die Innenstadt, fährt man durch eine verwaiste, verwilderte und von Einheimischen als «Ruinen-Porno» verschriene Zone über rund 365 Quadratkilometer, dreimal die Fläche der Stadt Zürich.
In diesem Gebiet sind die USA auf den Lebensstandard einer Drittweltstadt gefallen: Die Mordrate ist die höchste des Landes, im Schnitt wird täglich eine Person getötet. Selbst wer einen Notfall meldet, kann nicht damit rechnen, dass die Polizei erscheint. Mangels Steuereinnahmen wurde jede sechste Polizisten-Stelle abgebaut.
Schüsse in der Nacht sind normal
«Der Wilde Westen», Rentner Rick Piornack schüttelt den Kopf. Wie Dinosaurier würden sie sich in ihrer Heimatstadt fühlen, sagt der pensionierte Feuerwehrmann über sich und seine Frau Brenda.
Die meisten Weissen der Mittelklasse haben Detroit in den letzten Jahrzehnten verlassen. Rick fährt durch die Strassen seiner Nachbarschaft. Vorbei an Hausruinen, «ein Katastrophengebiet», und macht klar, dass er nirgendwo aussteigen würde.
Als Weisser könnte er als Zielscheibe wahrgenommen werden. Ricks Nachbarhaus war ein ehemaliger Drogenumschlagplatz, bis der Dealer ermordet und dessen Leiche im Hinterhof gefunden wurde. An die Schüsse, die man in der Nacht höre, hätten sie sich längst gewöhnt. Nicht aber daran, dass die Stadt Detroit seine Pensionskasse plündern wolle, um ihre gigantischen Schulden von mehr als 18 Milliarden Dollar abzuzahlen.
Misswirtschaft und korrupter Bürgermeister
Seit Monaten streiten sich Gläubiger und der als Notfallmanager eingesetzte Insolvenzanwalt Kevin Orr, wie man sich aus dem Schuldensumpf der ehemals blühenden Autometropole befreien kann.
Die bisher grösste Pleite einer Stadt in den USA hatte sich in den letzten zehn Jahren abgezeichnet, weil Detroit über seine Verhältnisse lebte. Der Niedergang kam, weil mit dem Exodus der Bewohner die Steuereinnahmen schrumpften.
Zudem schloss der ehemalige Bürgermeister Kwame Kilpatrick katastrophale Finanzgeschäfte ab und bediente sich nebenbei noch aus der Stadtkasse. Die nächsten 28 Jahre sitzt er nun im Gefängnis wegen Korruption.
Banken kommen vor Rentnern
Schon 2005 war kein Geld mehr in der Stadtkasse, um die Renten von Feuerwehrmann Rick Piornack und den anderen pensionierten Beamten zu finanzieren. Darum hatte Ex-Bürgermeister Kilpatrick mit US-Banken und der UBS riskante Zins-Wetten abgeschlossen – und verloren. Im Gegensatz zu den Banken gelten die Pensionskassen aber nicht als erstklassige Schuldner, darum müssen die Rentner um ihr Sparguthaben zittern.
Die jüngste Wende im Schuldendrama kam am Freitag: Die Stadt reichte Klage gegen die damaligen Zins-Geschäfte mit den Banken ein. Angeblich seien diese über betrügerische Strukturen abgewickelt worden und darum gar nicht gültig.
Wird der Klage stattgegeben, müssten sich die Banken rund 165 Millionen Dollar ans Bein streichen. Die Rentner könnten aber dadurch hoffen, weniger Einbussen zu erleiden. «Das Ganze ist ein Chaos», sagt Rick Piornack zu «Reporter», denn «die Stadt lässt uns im Ungewissen».
bauk/kurn