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Junge Männer stehen nachts in Wolldecken gehüllt auf einem Bahnsteig.
Legende: Die Migration nach Europa ist ungebremst: Flüchtlinge an der serbisch-mazedonischen Grenze. Imago

International «Grenzkontrollen helfen nur sehr bedingt»

Der freie Personenverkehr in der EU wird auf eine harte Probe gestellt: Um den Zuzug von Flüchtlingen zu bremsen, haben Schweden und Dänemark wieder Grenzkontrollen eingeführt. Ist dies das Ende des Schengen-Abkommens?

SRF News: Was ist das Schengen-Abkommen zur Personenfreizügigkeit innerhalb der EU noch wert?

Daniel Gros

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Daniel Gros ist Direktor des «Centre for European Policy Studies» in Brüssel. Er leitet dort die Abteilung «Wirtschaft und Finanzen». Der Ökonom arbeitete früher für den IWF und als Berater der EU-Kommission oder der französischen Regierung.

Daniel Gros: Es ist immer noch mehr wert als damals vor 20 Jahren, als das Abkommen abgeschlossen wurde. Der freie Personenverkehr hat sich in den zwei Jahrzehnten bewährt, die Anzahl Grenzüberschreitungen innerhalb der EU hat sich seither vervierfacht. Die momentane Flüchtlingskrise, in deren Zug nun teilweise wieder Grenzkontrollen eingeführt wurden, wird, wenn sie dereinst vorüber ist, kein Grund mehr sein, den freien Personenverkehr weiterhin einzuschränken.

Allerdings führen derzeit immer mehr Länder Grenzkontrollen ein. Weil die EU-Aussengrenzen nicht geschützt werden, übernehmen sie den Job wieder selber. Funktioniert Schengen nicht mehr?

Das ist richtig. Als Schengen abgeschlossen wurde, gab es nur einen geringen Druck an den Aussengrenzen. Man hat damals nicht daran gedacht, dass es verstärkte Kontrollen an den Aussengrenzen braucht, wenn die Grenzen innerhalb des EU-Raums aufgehoben werden. Dieses Versäumnis muss nun nachgeholt werden, was nicht von heute auf morgen geht. Doch es wird eine Lösung gefunden werden, denn der Leidensdruck für alle ist derzeit einfach zu gross.

Was heisst das denn konkret: An den Aussengrenzen des Schengenraums bessere Grenzkontrollen?

Erstens müssten die Kontrollen im Mittelmeer erheblich verstärkt werden. Es braucht insbesondere in Süditalien und in der Ägäis mehr und besser verwaltete Ressourcen. Zweitens muss die Balkan-Route geschlossen werden, etwa indem die EU-Aussengrenzen in Slowenien oder Ungarn gestärkt werden. Zudem braucht es ein Abkommen mit der Türkei. An all dem wird derzeit gearbeitet, doch für sichtbare Fortschritte wird es wohl ein halbes oder sogar ein Jahr dauern.

Es gibt keine Lösung von heute auf morgen. In einem Jahr werden wir weiter sein.

Es sind also nicht primär Italien oder Griechenland gefordert, sondern die EU als Ganzes?

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Weil die EU-Länder am Mittelmeer relativ schwach sind, braucht einen stärkeren Einsatz der EU. Ihnen muss finanziell und mit der Verwaltung geholfen werden, denn davon profitieren alle EU-Länder. Wenn Griechenland seine Grenzen besser verteidigt, dann profitieren davon auch Dänemark und Schweden. Das hat man früher nicht so gesehen, ist jetzt aber offensichtlich. Es müssen neue Mechanismen für eine Lösung gefunden werden, dann wird auch Schengen wieder vollständig in Kraft gesetzt werden.

Schengen-Abkommen

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Mit dem Schengen-Abkommen wurden in den 1990er-Jahren die Grenzkontrollen innerhalb der EU abgeschafft. Seither werden nur noch die Aussengrenzen kontrolliert und gesichert. Die Schweiz ist seit Ende 2008 Teil des Schengener Abkommens, allerdings nicht der EU-Zollunion. Deshalb gibt es an den Schweizer Grenzen weiterhin Zollkontrollen.

Ein weiteres Problem ist die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU. Solange nicht alle EU-Länder bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen, werden sich wohl auch Länder wie Schweden oder Deutschland gezwungen sehen, ihre Grenzen zu kontrollieren?

Das ist ein ganz heisses Thema. Zwar kann man eine Verteilung der Flüchtlinge auf dem Papier fordern, in der Praxis ist dies aber sehr schwierig umzusetzen. Die wirtschaftlichen Bedingungen in Deutschland, Schweden oder Dänemark sind nun einmal sehr viel besser als etwa in Italien oder Spanien. Das führt dazu, dass es die Flüchtlinge in den Norden zieht. Das macht auch Sinn, weil diese Länder finanziell am stärksten sind und zudem Arbeitskräfte brauchen. Deshalb wird es in näherer Zukunft wohl nicht zu einer grösseren Umverteilung von Flüchtlingen kommen. Da muss man eher in Jahrzehnten als in Jahren denken.

Was würden Sie Ländern wie Schweden oder Deutschland raten, wie sie mit dem Flüchtlingsandrang fertig werden können ohne wieder Grenzkontrollen einzuführen?

Auch die Grenzkontrollen helfen kurzfristig ja nur sehr begrenzt, denn für eine konsequente Überprüfung an der Grenze reichen die Polizeikräfte nicht aus. Wichtig ist, dass die Grenzabkommen zwischen der EU und der Türkei so schnell wie möglich umgesetzt werden und die Kontrollen in Griechenland und im Mittelmeer rasch verstärkt werden.

Sie sagen also, dass das Schengener Abkommen zwar stürmische Zeiten erlebt, das System des freien Personenverkehrs aber weiterhin Bestand haben wird?

Da bin ich ziemlich sicher. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass die EU es nicht schafft, einen gemeinsamen Grenzschutz zu etablieren. Doch es wird an dem Problem gearbeitet, und Länder wie Italien und Griechenland akzeptieren, dass sie die Hilfe der EU brauchen. Natürlich gibt es keine Lösung von heute auf morgen, was den Populisten viel Raum gibt. Doch ich bin zuversichtlich, dass wir in einem Jahr weiter sein werden und Schengen dann wieder funktionieren wird.

Das Gespräch führte Hans Ineichen.

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