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Syriza-Anhänger vor dem Parlamentsgebäude in Athen.
Legende: Syriza-Anhänger vor dem Parlamentsgebäude in Athen. Noch stützen die den Kurs der Regierung. Keystone

International Griechische Linke ist gespalten

Die neuesten Unterlagen aus Griechenland enthalten nach dem ersten Urteil der EU in Brüssel mehr oder weniger substanzielle Reformvorschläge. Sprich: Vorschläge, die den Griechen an die Substanz gehen. SRF News hat mit einem Kenner des Landes über die Gratwanderung der Syriza-Regierung gesprochen.

Niels Kadritzke

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Niels Kadritzke ist Journalist. Der Deutsche arbeitet unter anderem als Redaktor bei der deutschen Ausgabe des «Monde Diplomatique» und verbringt etwa vier Monate im Jahr in Griechenland.

SRF News: Wenn es darauf ankommt: Würden die Syriza-Wähler einen Grexit in Kauf nehmen?

Niels Kadritzke: Ein Grexit ist für die Mehrheit der griechischen Gesellschaft ein Horrorszenario. Weit über zwei Drittel der Bevölkerung – rund 70 Prozent – sind dagegen. Anders sieht es bei den Syriza-Wählern aus. Die sind gespalten. Bei den letzten Umfragen haben sich um die 50 Prozent für den Verbleib in der Eurozone ausgesprochen. 47 Prozent waren unsicher und sagen, mit der Drachme wäre es auch keine Katastrophe.

Wenigstens kann man sagen, dass eine Minderheit der Syriza-Wähler mit der Rückkehr zur Drachme eine Hoffnung verbindet. Es gibt eine gewisse Apathie, und die ist bei den Syriza-Wählern ausgeprägter, weil sie die jetzt erreichte Lösung schon für katastrophal genug halten.

Was muss für Premier Alexis Tsipras unbedingt in einem Kompromiss mit der EU drinstehen?

Es wäre äusserst hilfreich, wenn Tsipras darauf hinweisen könnte, dass die Opfer, die er wirklich gebracht hat, dadurch kompensiert werden, dass in der nächsten Phase der Verhandlungen zu einen das Thema Schuldenentlastung auf den Tisch kommt; zu andern auch die Frage, wie die wirtschaftliche Entwicklung Griechenlands gefördert werden kann.Da kommen natürlich insbesondere Mittel aus der EU in Frage. Bis jetzt ist dazu noch nichts gesagt worden.

Eine Minderheit der Wähler verbindet mit der Rückkehr zur Drachme eine Hoffnung.

Die Parteizeitung hat aber in ihrer Rechtfertigung der Tsipras-Position schon darauf hingewiesen, dass dies Teil des Kompromisses sein wird. Es ist zu hoffen, dass es zumindest im Schlusscommuniqué, das für Mittwoch oder Donnerstag erwartet wird, einen Hinweis darauf gibt, dass diese beiden Themen in der nächsten Phase der Verhandlungen dann wirklich auf den Tisch kommen.

Sie haben gesagt, Syriza sei gespalten. Geht es bei denjenigen, die den Austritt aus der Eurozone in Kauf nehmen würden, um Ideologie oder um die Wähler?

Innerhalb der Partei gibt es einen sehr harten, ideologischen Kern, der wird auf gut einen Drittel der Mitglieder geschätzt. Diese haben eine alte Skepsis gegenüber der EU insgesamt, aber insbesondere gegenüber der Eurozone. Die würden auch ohne die derzeitige Situation sagen, Griechenland wäre besser bedient mit einer eigenen Währung. Der Nachteil dieser Gruppe: Sie besitzt keinen Plan B. Wenn man diese Leute fragt, was ist die Alternative, dann verweisen sie auf mögliche Kredite aus China, Russland oder sogar Brasilien. Aber sie haben eigentlich kein Konzept.

Der harte, ideologische Kern von Syriza besitzt keinen Plan B.

Der andere Teil der Syriza-Wähler ist lediglich enttäuscht über die Härte der Programme, die aus ihrer Sicht vor allem von Brüssel diktiert sind. Sie sind von daher skeptisch, ob es überhaupt einen Zweck hat, Griechenland in der Eurozone zu halten. Weil sie sagen, das ist ein Rezept, das uns immer mehr in die Zange nimmt, und uns auch immer weniger Entwicklungsmöglichkeiten lässt. Aber auch sie wissen eigentlich nicht, was mit der Drachme auf sie zukommt.

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In dem Fall könnte die paradoxe Situation eintreten, dass Tsipras und die EU einen Kompromiss finden, der im Parlament von der Opposition angenommen wird?

Ja, das ist gar nicht so hypothetisch. Es hängt völlig davon ab, ob Tsipras es schafft, eine Argumentationslinie zu entwickeln, die seine eigene Fraktion zusammenhält. Vor zwei Wochen, als ich in Athen war, habe ich mit Leuten aus der näheren Umgebung von Tsipras gesprochen. Die gingen damals davon aus, dass im Falle eines Abkommens höchstens zehn Abgeordnete der Syriza dagegen stimmen werden. Ob das jetzt noch stimmt, muss man abwarten.

Ein grosses Fragezeichen ist auch die zweite Regierungsfraktion, die rechtspopulistische Amel. Auch diese Fraktion ist unsicher. Und wenn da nochmals fünf Dissidentenstimmen dazukommen, reicht es nicht mehr für eine eigene Mehrheit. Das grosse Problem für Tsipras ist dann, ob er eine neue Regierung bildet oder sogar Neuwahlen anstrebt, weil er eigentlich mit seiner eigenen Regierung gescheitert ist. Zurzeit wird diese Frage so beantwortet: Wenn wir keine eigene Mehrheit bekommen, müssen wir irgendetwas machen, sei es ein Referendum, seien es Neuwahlen. Das wäre dann aber auch wieder ein Katastrophenszenario.

Ihre Innenansicht Griechenlands vermittelt den Eindruck, Tsipras möchte in der EU bleiben?

Ja, das ist ganz entschieden der Fall. Tsipras war noch vor wenigen Jahren absolut schwankend, ob er ein Eurogegner ist oder nicht. Er ist weitgehend überzeugt worden, gerade von seinem Finanzminister Yanis Varoufakis, der ja in Europa keine besonders gute Presse hat. Ihm gebührt ganz zweifelsfrei das Verdienst, dass er Tsipras vorgeführt hat, was für eine Katastrophe ein Austritt aus der Eurozone – also der berühmte Grexit – wäre.

Neuwahlen würden eine Trennung vom linken Flügel der Partei bedeuten.

Varoufakis ist besonders glaubwürdig, weil er selbst, damals, als Griechenland der Eurozone beitrat, ein Gegner war. Er sagt aber ganz klar, das es ein Unterschied ist, ob man es für falsch hält, dass Griechenland eingetreten ist. Das heisst nicht, dass es richtig wäre, wenn Griechenland jetzt austritt. Das hält er für eine Katastrophe und davon ist Tsipras meines Erachtens voll überzeugt.

Kann man sagen, ein Grexit wäre auch ein Exit für die griechische Regierung?

Das ist fraglich. Erstens glaube ich, dass Tsipras, bevor ein Grexit beschlossen wird, über Neuwahlen versuchen würde, mit einer expliziten Position für ein Verbleiben Griechenlands in der Eurozone, nochmals eine Mehrheit zu bekommen. Ich glaube, dass er bei den Wählern damit gute Chancen hätte. Das würde aber zugleich eine Trennung von seinem linken Flügel bedeuten – im Grunde eine Parteispaltung. So gesehen wäre es in der Tat ein Abschied von der alten Partei Syriza. Das würden viele aber gar nicht als eine Fehlentwicklung ansehen, sondern als ein normaler Prozess der Willensbildung in der schwierigen Situation, in der sich Griechenland befindet.

Das Gespräch führte Peter Vögeli.

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