Dschihadisten aus dem Bürgerkriegsland Libyen haben die junge Demokratie in Tunesien im Visier. Eine Bande Terroristen griff am Montag einen tunesischen Stützpunkt nahe der Grenze an. Bei dem blutigen Angriff dutzender mutmasslicher Dschihadisten starben mindestens 53 Menschen.
Während der heftigen Gefechte in der Stadt Ben Gardane nahe der Grenze zum Bürgerkriegsland Libyen seien 35 Angreifer sowie 18 Sicherheitskräfte und Zivilisten ums Leben gekommen, teilten die tunesischen Ministerien für Inneres und Verteidigung mit. Sieben weitere Sicherheitskräfte wurden verletzt, zudem seien sieben Angreifer festgenommen worden.
Grenzschliessung und Ausgangssperre
Die Grenze wurde in der Folge komplett geschlossen. Für die Nacht auf Dienstag wurde eine Ausgangssperre in Ben Gardane verhängt. Das Militär betonte, es habe die Lage in der Stadt unter Kontrolle. Man habe alle Strassen zur Stadt abgeriegelt. Die Präsenz von Polizei und Militär sei verstärkt worden, berichtete die staatliche tunesische Nachrichtenagentur TAP. Zudem sei der Zugang zur Urlauberinsel Djerba geschlossen worden.
Staatspräsident Béji Caid Essebsi sprach von einer organisierten Attacke: «Sie könnte darauf gezielt haben, einen neuen ‹Staat› auszurufen.» Seine Worte können als Befürchtung interpretiert werden, dass sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Tunesien festsetzen wolle. Der an Tunesien angrenzende Westen Libyens gilt als Zufluchtsort von IS-Dschihadisten.
Zurückgekehrte Tunesier?
Die IS-Terrormiliz bekannte sich unter anderem zum Überfall auf das Bardo-Museum in Tunis, bei dem vergangenes Jahr mehr als 20 Touristen getötet wurden. Zudem soll der Attentäter von Sousse, der am dortigen Strand im vergangenen Juni 38 Menschen erschossen hatte, in Libyen ausgebildet worden sein.
Auch der Angriff vom Montag sei vermutlich vor allem von aus Libyen zurückgekehrten Tunesiern verübt worden, sagt SRF-Auslandredaktor Daniel Voll: «Man weiss, dass 4000 bis 5000 junge Tunesier im Dschihad sind, viele davon beim IS-Ableger in Libyen.» Den Attentätern gehe es wohl vor allem darum, Tunesien zu destabilisieren. «Man will den Staat vorführen und zeigen, wie schwach er ist.»
Kaum überwachbare Grenze
Ein Problem ist die 500 Kilometer lange Grenze zu Libyen, die vor allem in Wüstengebiet verläuft und kaum gesichert werden kann. Zwar sind bereits Massnahmen ergriffen und Wassergräben sowie Sandwälle angelegt worden, zudem ist eine Mauer geplant, die elektronisch überwacht werden soll. Doch selbst dann werde die Grenze nur sehr schlecht vollständig gesichert werden können, ist Voll überzeugt.
Doch was kann Tunesien tun, ausser noch mehr Sicherheitsmassnahmen zu ergreifen, die angesichts der geografischen Gegebenheiten keinen 100-prozentigen Schutz bieten können? «Tunesien muss dringend seine Wirtschaft stärken, und zwar vor allem im Süden, der bisher von Tunis immer benachteiligt worden ist», sagt der SRF-Auslandredaktor. Nur wenn die jungen Tunesier Aussicht auf ein Auskommen hätten, verliere der Dschihad für sie an Attraktivität.
Chaos in Libyen
Zwar sei die Situation in Tunesien nicht vergleichbar mit dem Chaos in Libyen, so Voll weiter. Trotzdem: «Das grosse Risiko ist, dass immer wieder bewaffnete Gruppen Angriffe auf Tunesien versuchen, davor hat man auch grosse Angst.»
Libyen wird seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 von konkurrierenden Milizen beherrscht. Sie ringen neben zwei rivalisierenden Regierungen und Parlamenten in Tobruk und der Hauptstadt Tripolis um die Macht. Der IS nutzt die Lage, um sich in dem nordafrikanischen Land auszubreiten.