Peter Miles ist britisch-schweizerischer Journalist, er lebt in London. Im Interview mit Radio SRF erzählt er, welche Themen die Einwohner Londons am Tag nach dem Brexit besonders beschäftigen.
- Zukunftsängste:
Bei den unterlegenen Austrittsgegnern ist der Kater enorm. Man kommt im Alltag schlicht nicht an diesem Thema vorbei und alle wollen darüber sprechen. Es herrschen Schock, Bestürzung und Ungewissheit. Ich habe viele SMS bekommen – vor allem von Brexit-Gegnern. Die Leute schreiben, sie seien am Boden zerstört. Die Zukunft sehe düster aus. Aber auch ein Brexit-Befürworter meldete sich; er schrieb, das Volk habe gesprochen. Es wird noch eine Weile dauern, bis die Bürger hier mit dem zurecht kommen, was passiert ist.
- Politische Ungewissheit:
Ein grosses Thema ist natürlich die Nachfolge von Premier David Cameron, der seinen Rücktritt angekündigt hat. Es gibt endlose Spekulationen darüber, wer ihn ersetzen soll. Natürlich stellen sich auch viele die Frage, wie schnell sich etwas ändert und wie lange es dauert, bis Grossbritannien aus der EU ausgetreten ist. Die Leute wollen wissen, was mit ihrer Währung passiert, mit der Börse, mit dem Wirtschaftsstandort London. Die Schotten, die sehr klar für einen Verbleib in der EU gestimmt hatten, spekulieren über ein neues Unabhängigkeitsreferendum. Alle betreten völliges Neuland und niemand weiss, wohin die Reise geht – den Befürwortern wird aber allmählich klar, was sie da gestern mit ihrer Stimme losgetreten haben.
- Alltagsprobleme:
Hier gibt es vor allem praktische Fragen: Steigen die Preise? Was passiert mit meinem Lohn, meinem Arbeitsplatz? Werden meine Ferien im Ausland teurer? Brauche ich ein Visum für eine Reise in die EU-Staaten? Was geschieht mit der Rente meiner Grosseltern in Costa del Sol? Muss mein Bruder, der in Deutschland arbeitet, zurückkehren? Vor allem die junge Bevölkerung hat grosse Sorgen. Die Jungen werfen den älteren Wählern vor, ihnen die Zukunft verbaut zu haben.
Sorgen gibt es aber auch unter EU-Bürgern, die in Grossbritannien leben. Sie fühlen sich nicht mehr willkommen und wissen nicht, wie lange sie noch bleiben dürfen. Eine Bekannte hat beobachtet, wie die Gäste in einem Café eingetreten sind, bestellt haben und sich dann bei den italienischen Angestellten entschuldigt haben für den Ausgang der Abstimmung.