SRF News: Sie sagen, die humanitären Helfer könnten nicht mehr so weitermachen wie bisher. Wieso?
Ralf Südhoff: Es gibt viele Beispiele für Länder, in denen wir feststellen, dass sich die Zahl der Wetterdesaster, der Dürren und Hurrikane vervielfacht hat, so dass wir beispielsweise allein in Haiti in den letzten zehn Jahren fünfmal dieselben Menschen nach solchen Wetterkatastrophen retten mussten. Das Gleiche ist in 20 Ländern weltweit der Fall. Das sind immense Kosten, eine immense Not. Diese Einsätze in 20 Ländern, bei denen wir immer wieder dieselben Menschen retten mussten, kostete alleine das UNO-Ernährungsprogramm 23 Milliarden Dollar, und dieses Geld steht natürlich nicht jedes Jahr wieder zur Verfügung.
Es sind also nicht nur die Helfer vor Ort, sondern auch die Spender, die Geldgeber, die gefordert sind?
Auf jeden Fall. Wir haben die Herausforderung, dass zum einen natürlich die Not der Menschen massiv zunimmt, weil die Zahl der Wetterdesaster, höchstwahrscheinlich angetrieben durch den Klimawandel, heute schon vervielfacht hat. Fast jeden Tag und oft ohne dass wir es bemerken, findet irgendwo ein Tornado, eine Flut statt, oder eine Dürre bricht aus in einem Land, in dem dann Nothilfe geleistet werden muss. Das und die grossen Konflikte wie in Syrien führen in der Summe dazu, dass sich der Bedarf an humanitärer Hilfe pro Jahr in etwa verzehnfacht hat über die letzten zehn bis zwölf Jahre, und zwar von etwa zwei Milliarden Dollar noch im Jahr 2000 auf heute über 20 Milliarden Dollar.
Eine Idee, um die Folgen des Klimawandels abzufedern, ist die Wetterversicherung. Doch solche Ansätze scheinen vernachlässigt zu werden. Wieso?
Wir glauben, dass es einen Kulturwandel braucht, eine ganz neue Denke, wie man mit solchen Katastrophen umgeht. Indem man auf der einen Seite natürlich immer noch so viele Menschen wie möglich rettet und sie befähigt, durch diese Krise durchzukommen. Auf der anderen Seite kann man heute solche Nothilfe aber auch mit Instrumenten verbinden, die die Menschen absichern, damit sie gegen künftige Krisen besser gewappnet sind. Wetterversicherungen sind dabei ein wichtiges Beispiel. Sie würden es den Menschen erlauben, sich gegen die nächste Dürre, gegen den nächsten Tornado zu versichern. So bekommen sie zum Beispiel in dem Moment, in dem der Regen ausbleibt, und das unsere Wetterdaten belegen, von einer Versicherung eine Auszahlung. Mit diesem Geld kommen sie dann durch diese Monate der Dürre und müssen nicht wieder bei Null anfangen, wenn die Dürre vorbei ist. Das ist eine grosse Herausforderung für ganz viele Kleinbauern. Sie wären eigentlich produktiv und könnten ihre Familien ernähren, aber mittlerweile zerstört alle zwei bis drei Jahre eine Dürre ihre Existenz.
Sie plädieren auch für einen Kriseneinsatz ohne Krise. Wie stellen Sie sich das vor?
Wir haben heute alle Instrumente, um solche Wetterdesaster ziemlich genau vorherzusagen. Die Meteorologen und die Frühwarnsysteme sind da viel weiter als noch vor zehn, fünfzehn Jahren. Das bedeutet, wir können heute schon vielfach beispielsweise Nahrungsmittel zu den Menschen in Bangladesch bringen, die erneut von einer Flut bedroht sein werden – wenn wir wissen, dass diese Flut höchstwahrscheinlich im Laufe der nächsten zwei bis drei Wochen kommen wird. So können wir die Menschen vorab versorgen. Wir erreichen sie viel zielgenauer, und es ist billiger, denn wir können sie über die Strassen versorgen, wir müssen nicht teure Luftabwürfe machen. Und so können wir sicherstellen, dass die Leute vorbereitet sind, und nicht erst handeln, wenn die Flut oder die Dürre schon ausgebrochen ist. Wir haben eine Studie gemacht zu einer Krise in Niger. Am Anfang, als wir den Menschen sofort helfen konnten, kostete es sieben Dollar, eine Person durch die nächsten Wochen zu bringen. Nur wenige Monate später hatten sich diese Kosten verdreifacht. Das ist sehr typisch.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.