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International «Kyrill liefert ein ideologisches Gerüst für Putins Politik»

In Havanna trifft Papst Franziskus heute auf Patriarch Kyrill. Doch wer genau ist das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche? SRF-Korrespondent David Nauer erklärt Kyrills Beziehungen zu Wladimir Putin und weshalb der Patriarch «Tabak-Metropolit» genannt wird.

SRF News: Wer ist Patriarch Kyrill I.?

David Nauer

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David Nauer ist Korrespondent von Radio SRF in Russland. Von 2006 bis 2009 hatte Nauer für den «Tages-Anzeiger» aus Moskau berichtet, anschliessend aus Berlin.

David Nauer: Kyrill gilt als blitzgescheit; er spricht mehrere Sprachen und hat sehr viel internationale Erfahrung. Aus westlicher Sicht ist er sicher sehr konservativ. Innerhalb der orthodoxen Kirche steht er aber immer wieder in der Kritik – viele Leute halten ihn für zu liberal. Das Wichtigste aber ist sicher, dass Kyrill gegenüber dem Kreml sehr loyal ist. Er hat sehr gute Beziehungen zu Wladimir Putin: Bei den letzten Präsidentschaftswahlen hat er sogar mehr oder weniger offen für Putin geworben.

Ist die Beziehung zwischen Kyrill und Putin eine wirkliche Männerfreundschaft oder täuscht der Eindruck?

Ich denke, es handelt sich eher um eine Zweckgemeinschaft. Die beiden profitieren massiv voneinander. Kyrill liefert dem Kreml ein ideologisches Gerüst für dessen Politik. Die orthodoxe Kirche ist eine Art Staatsreligion geworden. Die goldenen Kuppeln der Kirchen, die im ganzen Land gebaut oder renoviert werden, sind ein Symbol für Russlands neue Grösse. Und das ist auch, woran Putin arbeitet. Der russische Präsident seinerseits verschafft der orthodoxen Kirche auch viele Vorteile: Sie hat eine Sonderstellung unter den Religionsgemeinschaften in Russland. Neben dem Bau von neuen Kirchen erhalten die Kirchenleute Einfluss in Schulen und Medien und sie haben Zugang zu lukrativen Geschäften.

Kyrill hält den westlichen Liberalismus für Teufelszeug.

Sie stützen sich also gegenseitig und sind sich auch in ihrer Ablehnung westlicher Werte einig.

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Genau. Kyrill hält den westlichen Liberalismus für Teufelszeug. Die Gleichstellung von Homosexuellen beispielsweise ist für ihn ein Anzeichen des nahenden Weltuntergangs. Das passt zu Putin. Seine Politik definierte sich in den letzten Jahren vor allem über eine Abgrenzung vom Westen. Seit Monaten wird Europa im russischen Staatsfernsehen als fürchterlicher Ort beschrieben, an dem es keine Sitten und Moral mehr gibt. Und an dem auch die Staatsmacht den Problemen völlig hilflos gegenübersteht. In ihrer Ablehnung des Westens und der westlichen Werte treffen sich die beiden tatsächlich.

Patriarch Kyrill und Wladimir Putin stehen sich gegenüber.
Legende: Eher eine Zweckgemeinschaft: Die Beziehung zwischen Kyrill I. und Wladmir Putin. Reuters

Es ist auch zu lesen, dass Kyrill ziemlich reich sein soll: Er soll über ein grosses Vermögen verfügen und besitzt eine Penthouse-Wohnung vis-à-vis vom Kreml. Wie kommt das eigentlich?

Die genauen Zahlen kennt natürlich niemand. Es gibt aber schon seit Jahren Vorwürfe, dass Kyrill in den Neunzigerjahren viel Geld mit dem Import von Zigaretten verdient hat. Damals durfte die orthodoxe Kirche mit Zigaretten und Alkohol handeln. Kyrill soll in den Tabakhandel verwickelt gewesen sein. Deswegen nennt man ihn auch den «Tabak-Metropoliten». Es gibt auch aus jüngerer Zeit eine Geschichte, die ganz bezeichnend und vielsagend ist: Die Pressestelle von Kyrill hat ein Foto des Patriarchen veröffentlicht. Auf dem Bild ist offenbar eine Uhr am Handgelenk Kyrills mit Photoshop entfernt worden. Die Presseleute haben aber vergessen, die Spiegelung der Uhr auf der Tischplatte zu entfernen. Das war eine ziemlich peinliche Sache, weil es sich ganz offensichtlich um eine ziemlich teure Uhr gehandelt hat.

Er ist sicher kein Volkstribun.

Wie kommt sowas bei den Gläubigen der russisch-orthodoxen Kirche an?

Kyrill ist sicher kein Volkstribun. In einer Umfrage von 2014 wurde gefragt, wer in Russland eine moralische Autorität sei. Nur ein Prozent der Befragten nannte damals Kyrill. Die Russen haben ohnehin ein schwieriges Verhältnis zur Institution Kirche. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben viele wieder den Glauben für sich entdeckt. Über 70 Prozent sagen heute, sie seien gläubig. Aber nur etwa zehn Prozent gehen tatsächlich regelmässig in die Kirche.

Der dem Luxus nicht abgeneigte und kremlfreundliche Kyrill trifft nun in Havanna auf Papst Franziskus, der die Bescheidenheit liebt und den Mächtigen der Welt gerne auf die Finger klopft. Ein ungleiches Paar?

Diesen Eindruck habe ich auch. Ich glaube der grösste Unterschied ist, dass Kyrill eine ganz andere Vorstellung der Kirche und ihrer Beziehung zur Macht hat. Er orientiert sich da ganz an der orthodoxen Tradition, die auch in die Zarenzeit zurückgeht. Die Kirche ist dabei nicht ein unabhängiges Gegengewicht zum Staat, sondern ein Stütze der Staatsmacht und eine Verbündete der Mächtigen. Auf dieser Linie führt auch Kyrill ungefähr seine orthodoxe Kirche. Aus meiner Sicht ist das ein sehr grosser Unterschied zu Papst Franziskus.

Das Gespräch führte Barbara Büttner.

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